Gehörverschluss und Darmsturz
Sigi Zimmerschied – „Scheißhaussepp“
„Wahrer Witz entsteht durch Leidensdruck.“
kabarett.at / 19. Jänner 2005
Er ist ja wirklich ein raffinierter Hund, der Zimmerschied. Da schreibt er vor zwei Jahren ein ganzes Programm darüber, warum es ihm beim besten Willen nicht gelingt, als pflegeleichter Spaßmacher seichte, gefällige und entsprechend breitenwirksame Unterhaltungsprogramme auf die Bühne zu bringen, und erledigt damit im Vorübergehen eine ganze Generation effekthaschender Comedians – und schafft sich jetzt für sein neues Solo „Scheißhaussepp“ eine inhaltliche Krücke, die es ihm zu jedem Zeitpunkt des Programms ermöglicht, Witze oder Sketche einzubauen, für die er unter normalen Umständen nie vorbehaltlos verantwortlich zeichnen würde. Und wenn das Publikum sich königlich darüber amüsiert, holt er seinen Notizblock heraus und notiert sich die dringend benötigten Lachpunkte. Danke für die Mitarbeit. Wir sind ja so leicht zu erheitern.
Zur Erklärung: Sigi Zimmerschied verkörpert den Betreiber einer öffentlichen Bedürfnisanstalt. Ein Unternehmen, das Josef Lana bereits von seinem Vater geerbt hat. Doch das Geschäft mit dem großen und dem kleinen Geschäft wirft immer weniger ab und die behördlichen Auflagen werden immer strenger. Ganze Tage muss er auf Ämtern verbringen, um die nötigen Bewilligungen zu bekommen: „Ohne Genehmigung ist der Mensch nur eine Behauptung!“ Bei einem seiner Bittstellgänge hält ihn ein Amtsrat für so lustig, dass er ihn als Amts-Kabarettist und Wartezimmer-Entertainer verpflichtet. Gemäß eines strengen Humor-Wert-Katalogs muss er Lachpunkte sammeln, um zu seiner Betriebsbewilligung zu kommen.
Der dergestalt beamteten Humor-Hure kommt es da mehr als gelegen, dass der Bundeskanzler hierzulande genau so heißt, wie jene Sitzgelegenheiten, von deren Benutzung er lebt. Aktuelle regionale Witze bringen zwar nicht so viel Punkte, aber bei der Dichte an Pointen, mit der er über Österreich herzieht, kommt schon was zusammen. Wie kann das Bundesheer hier nur auf die Idee kommen, den Ernstfall einer Geiselnahme zu proben ? „Wen willst du denn mit einem Österreicher erpressen ?“ Bei der PISA-Studie haben wir noch Glück gehabt, dass der Test mit Schülern gemacht wurde – und die Erfolge unserer Schwimmer beruhen einzig und allein auf der österreichischen Urangst vor dem Untergang.
Die Deutschen hingegen punkten bei sportlichen Wettkämpfen am öftesten in den Disziplinen Dressur und Schießen : „Die klassischen deutschen Tugenden“. Ein Land mit Gehörverschluss und Darmsturz, dessen Wachstumsindex sich genau so gut anhand der Leberwerte und der Menge an Hundekot berechnen ließe. Und die Bayern sind überhaupt ein Fall für sich : Menschen, denen die Erinnerung an Stalingrad weniger Angst macht, als die an Willy Brandt. Wahrer Witz entsteht durch Leidensdruck.
Josef Lana ist ein Connaisseur des öffentlichen Stuhlgangs. Allein am Klang des Abgangs erkennt er Jahrgang und Sorte des sich erleichternden Besetzers. „Der Mensch ist ein Geräusch, das stinkt und gern sitzt“, erkennt er, während er über Freunde und Vergangenheit nachdenkt.
Beim „Scheißhaussepp“ dreht sich alles um die diversen Facetten öffentlicher Bedürfnisse. Denn die machen Anstalten. Hinterfotzig, scharfsinnig und mit gewohnter Vehemenz wütet und wettert Zimmerschied gegen Politik und Bürokratie ebenso, wie gegen Sozialschmarotzer, Selbsthilfegruppen, Ich-AGs und Flutopfer-Benefiz-Essen. Den im Premierenpublikum befindlichen Werner Schneyder kanzelt er ganz nebenbei als das „Referat für Kabarett-Abgesang“ ab. Nicht einmal eine Witzfigur wie Daniel Küblböck kommt ungeschoren davon. Denn „es ist die Summe an Unwichtigkeiten, auf die es ankommt : Ein Beamter – ein Sozialfall. Ein ganzes Finanzamt – eine Killer-Maschine.“ Und am Ende finden sich alle – inklusive des Publikums – nur ein paar Schritte entfernt von der ewigen Verdammnis.
Manchen mag Zimmerschied mit seiner ständigen Heftigkeit und schäumenden Intensität auf die Nerven gehen. Wahrscheinlich kann man sich tatsächlich an ihm satt sehen. Aber ein Mal im Jahr muss man ihn erlebt haben – und sei es nur, um festzustellen wie lasch und uninspiriert andere Kabarettisten ihre Ansichten zum Ausdruck zu bringen versuchen. Denn bei aller Lautstärke sind Zimmerschieds Soli vielschichtige, subtile und sorgfältig gearbeitete Kleinkunstwerke eines hochprofessionellen Überzeugungstäters. (pb)
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