Sterbende Statisten
Der Standard /19
Eine beeindruckende Leistung war Michael Mittermeier bereits gelungen, bevor er noch einen Fuß auf die Bühne des Vindobona gesetzt hatte: er hatte es gefüllt. Das ist für deutsche Kabarettisten – und seien sie 300 km westwärts noch so berühmt und ausverkauft – hierzustadte alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Doch bei Mittermeier ist das anders: seine Popularität verdankt er konsequenter Fernseh-Präsenz. Das Publikum muss also nicht aus den spärlichen und nur schwer erreichbaren Winkeln überdurchschnittlich interessierter Kleinkunst-Konsumenten zusammengekratzt werden, nein, die naturbreite Masse der TV-„Comedy Club“-Fans setzt sich von selbst lawinengleich in Bewegung. Dass ihr demzufolge etliche Teile des Programms „Zapped“ bereits bekannt ist, spielt keine Rolle, da das Prinzip des Mittermeier’schen Humors fast durchwegs auf Wiedererkennungsfreude beruht: von Zahnfleischschmerzen beim Toblerone-Verzehr-Versuch bis zur Verwunderung über die erstaunliche Intelligenz Lassies. „Zapped“ ist eine auf fesselnde Weise zu Solo-Comedy verarbeitete, videoclipartig dramatisierte Powerboat-Kreuzfahrt durch 25 Jahre Flimmerkiste und Umgebung. Kein Thema eignet sich besser, um jenes grenzüberschreitende Gefühl gemeinsamer Vergangenheit zu beschwören, das mittels Bonanza- und Flipper-Beschwörung latent dazu neigt, in einen nostalgieduseligen Freudentaumel umzuschlagen. Verbrüderung brutal – und sei es mittels kollektiver McGyver- und Verona-Feldbusch-Verhöhnung. Die soziale Funktion des Fernsehens manifestiert sich ja zumeist im Bereich niederer Instinkte.
Doch die Professionalität, mit der sich Mittermeier dieses zugkräftigen „Ja, genau so ist es“-Prinzips bedient, wie er Erinnerungsanstöße austeilt, nur um die Vorstellungskraft zu konterkarieren, indem er sie überhöht oder verzerrt auf der Bühne widerspiegelt, ist durchaus ehrfurchtgebietend. Kein deutschsprachiger Komiker beherrscht die Spielregeln amerikanischer Standup-Comedy so perfekt wie er: die Gestik, mit der er das Publikum dirigiert, Szenenapplaus provoziert – und die Spannung in den darbietungsfreien Momenten des lauthalsen Ablachens zu halten vermag; seine Körpersprache, die so pointiert-prägnant und gleichzeitig so ausholend ist, dass sie sich auch noch dem letzten Besucher in der hintersten Reihe vermittelt; seine Mimik, die von der kabukiesken Schiel-Starre bis zur kompletten Gesichtsmuskellähmung alle Spielarten bereithält.
Mit den ihm zu Gebote stehenden humoristischen Mitteln zwischen intelligent-analytischer Satire und blankem Geblödel turnt Mittermeier dermaßen behände – und stets gesichert durch eine sekundös reagierende Licht-Regie – auf seinem im Verlauf der letzten zwei Jahre in Fleisch und Blut übergegangenen Programm-Gerüst, dass er sich inmitten des perfekten Timings überdies jederzeit den vom Publikum hoch honorierten Luxus improvisierter Abwege und spontaner Kontaktaufnahmen leisten kann. Ganz abgesehen davon, dass man auch als TV-Konsument noch einiges dazulernen kann: z.B., dass bei „Raumschiff Enterprise“ Besatzungs-Statisten, die eine Sprechrolle bekommen, garantiert noch in der gleichen Folge sterben.
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