Die Kunst des Klauens
Der Standard 05/1994
Dazu gehört schon die Extraportion Frechheit, die sich nur ein Meister seines Fachs leisten kann: Das Programm im Titel bereits als Plagiat anzukündigen und dann tatsächlich zu klauen, was das Zeug hält. „Forsicht Välschung“ heißt das aktuelle Kabarett-Solo des Heidelberger Grazers Jörg-Martin Willnauer, das er noch bis Samstag im Wiener Graumanntheater präsentiert. Eine intensive Auseinandersetzung mit der „erotischsten und knisterndsten Form der Änderung von Besitzverhältnissen“: dem Diebstahl.
Nur in allzu offensichtlichen Ausnahmefällen gesteht Willnauer den Opfern seiner geistigen Kleptomanie eine namentliche Erwähnung zu: „Von meinem Ghostwriter …“. Wozu das Publikum auch mit credits langweilen. Einfach einstecken, mitnehmen und vereinnahmen. So leicht ist das. „Jedes Diebsgut geht im Laufe der Zeit in den Besitz des Diebs über – ganz legal“, sagt Willnauer – und Recht hat er. Die schönsten Melodien sind bereits komponiert, die besten Rhythmen vergeben und die Scherze werden neuerdings auch nicht besser. Warum sich also nicht auch stellenweise auf den fruchtbaren, bestellten Feldern perfekter Pointenkulturen bedienen? Und eines muss man Jörg-Martin Willnauer schon lassen: Inspirieren lässt er sich nur vom Feinsten. Von Josef Hader bis Charly Chaplin, von Martin Herrmann bis Roy Black. Und wer nun wirklich im Einzelfall als Erster die zumeist in der Luft liegende Nummer geatmet – „aufgerochen“ – hat, wird sich wohl kaum mehr eruieren lassen. Wozu auch? In Zeiten konsequenten Recyclings ist es geradezu beglückend zu beobachten, wie es dem Multi-Künstler Willnauer gelingt unter Zuhilfenahme der humoristischen Mülltrennung ein homogenes, sinnvolles Produkt zu schaffen, gegen dessen urheberrechtliche Uneindeutigkeiten schon aufgrund des lausbübischen Charmes und augenzwinkernden Charismas des Vortragenden jede Nichtigkeitsbeschwerde Erfolg hätte. Überdies gliedert er seine Beute in das selbstgeschaffene kabarettistische Umfeld so niet-, nagel- und nahtlos ein, dass die evtl. Hehlerei zum Qualitätsbeweis wird.
Fast schon an die seltene Kunst der Selbstverhöhnung grenzt demzufolge der „Vertrauliche Hinweis“, der sich im Beipackmaterial zu „Forsicht Välschung“ findet: „Wer Kabarettprogramme nachmacht oder vervälscht, oder nachgemachte oder vervälschte ins Graumanntheater bringt, wird mit Gottschalk nicht unter drei Jahren bestraft.“ Willnauer hat eine harte Zeit vor sich – aber es hat sich mehr als gelohnt. (pb)
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