Gut geschummelt ist ganz gewonnen
Berühmte letzte Worte: „Petrus, ich kann dein Haus von hier oben sehen.“ (Jesus)
kabarett.at 10/2006
Vorweg: Weder Wikipedia noch die UNO wissen zwar bislang davon, aber ganz offensichtlich haben sich hierzulande maßgebliche Kräfte darauf geeinigt, am 3. Oktober den „Tag des Kabaretts“ zu feiern. [Eigentlich eine hübsche Replik auf den Umstand, dass unsere nordwestlichen Nachbarn den „Tag der deutschen Einheit“ feiern. Und das ohne Österreich!] Wie sonst ist es zu erklären, dass die beiden wichtigsten heimischen Kabarett-Agenturen ausgerechnet an diesem durchschnittlichen Dienstag zeitgleich zwei prominente Premieren ansetzen ? Gunkl in der Kulisse und Vitásek im Rabenhof. Was soll aus der Kabarettszene nur werden, wenn sich nicht einmal mehr die Machthaber miteinander absprechen? Wie auch immer. Dem durchschnittlichen Kabarettbesucher ist diese Terminkollision natürlich völlig gleichgültig. Nicht aber Kultur-Redakteuren. Die hatten dadurch die seltene Gelegenheit, eines dieser beiden Programme nicht anhand der zumeist untypischen Premiere kritisieren zu müssen, sondern eine ganz normale, spätere Vorstellung besuchen zu dürfen. Für welche Premiere aber sollte man sich entscheiden ? Die Wahl wurde schließlich dadurch erleichtert, dass Andreas Vitásek Anfang September – als die versehentliche Doppelbelegung ans Licht kam – verkündete, jetzt werde er endlich feststellen können, wer seine wahren Freunde seien. Da hat man dann als ein um Objektivität bemühter Berichterstatter keinen Spielraum mehr.
Scherz beiseite. Vielleicht war ja die etwas ausgedehntere Premierenfeier mit ein Grund dafür, dass Andreas Vitásek bei der zweiten Aufführung seines neuen Solos in geradezu beneidenswert lockerer Spiellaune war. Geradezu beiläufig lässt er in „My Generation“ seine Studentenzeit wieder aufleben, schlägt behände Brücken zu den Ärgerlichkeiten der Gegenwart, pendelt zwischen sympathisch selbstironischem Witz, sich freundlich anschleichenden, bösen Pointen und diesen für ihn so typischen, poetisch angehauchten Zwischentönen. Gelegentlich bemüht er diesmal zwar auch wieder billigere Scherze – über Gusenbauers Frisur gibt es schon lang nichts mehr zu lachen – und einige schon reichlich angestaubte Kalauer der Marke „Mama ich hab einen Ödipus-Komplex / Macht nichts, Hauptsache Du hast die Mama lieb“, aber die sind schnell wieder vorbei.
Inhaltlich verlässt sich Vitásek im Verlauf des Programms immer wieder auf die Tragfähigkeit der Nostalgie. Mit den richtigen Stichworten kreiert er jenes verklärte Vergangenheitsgefühl für die heute 50-Jährigen, das sich die heute 40-Jährigen mit der sattsam bekannten „Wickie-Slime & Piper“-Welle ausgiebig besorgt haben. Ein legitimes und funktionelles Mittel. Ein ums andere Mal seufzen die Altersgenossen Vitáseks sehnsüchtig auf, wenn von Ulf Bierbaum oder dem Mahavishnu Orchester die Rede ist. Ziemlich spanische Dörfer für die Zuspätgeborenen.
Stilistisch hat Andreas Vitásek – ähnlich wie Lukas Resetarits vor einigen Jahren – zu einer oftmals eher im Plauderton gehaltenen Vortragsform gefunden. Dieser ermöglicht es ihm in „My Generation“, das Politische mit dem Privaten nahtlos zu verbinden. Wenn auch nicht immer dermaßen in einem Atemzug, wie sein Geständnis, dass er Magda Bleckmannn sexy findet. Etwas dünner gesät hat er dafür seine poetisch-surrealen Kurzgeschichten. Erst nach der Pause entwickeln die einzelnen Nummern wieder prägnante Konturen. Und plötzlich erkennt man, was einem bisher gefehlt hat: Abwechslung ! Gerade in Zeiten, in denen im Unterhaltungsgenre immer öfter eintönige Comedy-Knallchargen den marktschreierischen Ton angeben, liegt Vitáseks wohltuende Wirkung nämlich nicht nur in seinem unaufdringlichen, ruhigen Humor, sondern auch in seiner kleinkünstlerischen Vielseitigkeit. Klingt fast nach Medizin. Ist es auch. In seinen besten Momenten ist und bleibt Vitásek eine Wohlfühlwunderdroge.
In Summe ergibt das einen Abend, der schlussendlich keine Erwartungen enttäuscht. Unspektakulär reiht sich „My Generation“ im Vorderfeld jener Programme ein, die man gern gesehen hat, an die man gut gelaunt zurückdenkt – und die man vorbehaltlos weiterempfehlen kann. Auch wenn einem irgendwann jener selbstkritische Satz einfällt, den Vitásek einst in einem Interview im Vorfeld zu einem Best-of geäußert hat: In jedem seiner Soli – das habe er beim Zusammenstellen des Programms erkannt – gebe es nur zwei oder drei wirklich gute Nummern. Der Rest sei geschummelt. Soll nichts Schlimmeres passieren, als auf diesem hohen Niveau beschummelt zu werden. Noch berühmte letzte Worte gefällig? Das schönste legt Vitásek Jesus in den Mund : „Petrus, ich kann dein Haus von hier oben sehen.
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