Kabarett mit Umkehrschluss
Andreas Vitásek: „Einerseits – glauben heißt, nichts wissen. Andererseits – ich weiß, dass ich nichts weiß. Synthese: Ich glaub, ich weiß was.“
kabarett.at 03/2010
„Mit dem Ende zu beginnen, ist keine besonders originelle Idee“, konstatiert Andreas Vitásek selbstkritisch nach wenigen Programm-Minuten, in denen er den Schlussapplaus als Opener vorweggenommen hat. Wie wahr. Obschon es natürlich gelegentlich schon ganz praktisch wäre, die Ereignisse rückläufig zu erleben. Wenn das Abendessen pappsatt mit dem Dessert begänne, würde man vermutlich weniger Brot zur Vorspeise gegessen haben.
Versteht man nicht alles besser, wenn man es auf den Kopf stellt ? Auf alle Fälle ergeben sich ungewohnte Perspektiven. Wie schon anno dazumal in seinem unvergesslichen Text „Wohnung in außergewöhnlicher Lage“. Verdrehungen, die zu kuriosen Umkehrschlüssen führen. Seinen regelmäßigen Kopfschmerzen jubelt er eine prophetische Gabe unter : „Immer wenn i sauf, ist am nächsten Tag Föhn.“
Das Prinzip der Umkehrung ist und war auch schon immer Vitáseks höchste Kunst. Und das bereits bei der Entstehung seiner Geschichten. Merkwürdigen Alltäglichkeiten verpasst er eine zugkräftige Vorgeschichte, die den Zuhörer auf ein völlig falsches Gleis entführt, um ihn dann zum Schluss mit der erstaunlichen Endstation zu überraschen.
So gesehen ist die ausführliche Thematisierung dieser Verfahrensweise auch ein Blick hinter die Kulissen von Vitáseks Kabarett-Werkstatt. Vielleicht wirklich keine besonders originelle Idee, aber solange sie so herrlich eigentümliche Ergebnisse zutage und auf die Kabarettbühne fördert, wie im „Fiebermonolog“ ein alles andere als bereits hinreichend abgelutschtes humoristisches Instrument.
Er sei kein Hypochonder, stellt Vitásek nachdrücklich fest. Er sei nur besonders sensibel. Er sei auch nicht paranoid. Höchstens misstrauisch. Und rund um diese beiden charakteristischen Wesenszüge kreisen die Geschichten und Gedanken in seinem neuen Solo. Da geht es um Kinderwägen und Waterboarding, Möpse und Tollkirschen, darstellende Geometrie und pannonische Suizid-Winde, Beichte und Beerdigung. Inhaltliche Details bitte bei Bedarf den zahlreichen anderen Kritiken zu entnehmen.
Dazwischen gibt es auch mal billige Bonmots oder ein Blondinenwitz – und jede Menge scharfsinniger Pointen und amüsanter Einsichten. Wie z.B. die hübsche Erkenntnis, dass die Zielgruppe des Fernsehsenders „Arte“ keinen Fernseher hat. Auch politisch steckt zwischen den Zeilen immer wieder unübersehbarer Klartext. Warum er allerdings Hans Mosers berühmten Bittbrief an Hitler mit Faymanns EU-Depesche an Hans Dichand collagiert, bleibt ein Rätsel. Möglicherweise ein kurzes Delirium. Im Fieberwahn ist alles möglich – und bedarf dann auch keiner Erklärung.
In den Zugaben, die es sich zu erklatschen lohnt, tauchen sie dann wieder auf : diese kleinen, irreführenden Geschichten mit erstaunlichen Wendungen am Ende, die einen am falschen Fuß erwischen. Mal behutsam und herrlich kurios, wie im Fall der Reinkarnation eines Fahrrads, mal heftig und boshaft, wie im Fall der Nebenwirkungen von Spam-mails.
Formal bleibt Vitásek der bereits im Vorgänger-Programm „My Generation“ angewandten Dramaturgie treu : Die erste Hälfte kommt wie eine durchgehende Conférence daher, in die er nahtlos und kaum spürbar einige als Nummern geschriebene Passagen eingearbeitet hat. Nach der Pause machen dann die black-outs erstmals Sinn, weil sie weitgehend unverwobene Einzelteile voneinander trennen. Wobei viele dieser durchaus dazu geeignet wären, in den erzählerischen Kontext einzufließen. So ist es also entweder Methode, in der zweiten Programmhälfte Abwechslung zu visualisieren, oder schlicht Zeitmangel bei der Durchkomposition des Werks. Oder beides : eine aus Zeitmangel in den Rang eines Stilmittels erhobene Methode.
Nach über einem Dutzend Solo-Programmen im Verlauf seiner bald 30-jährigen Kabarett-Karriere kann sich ein Vitasek das locker leisten. Er ist so fest in der Landschaft verwurzelt und ein so unverzichtbarer Bestandteil der Szene, dass man ihm – ähnlich wie Lukas Resetarits – einfach gerne zuhört bei seinen amüsant erzählten Erinnerungen und Erlebnissen, seinen assoziativen Ab- und Umwegen und seinen poetischen Grotesken. Unspektakuläre kabarettistische Qualitätsware. Verlässlich und vergnüglich.
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