Hochprozentige Entgleisungen
Filmkritik : „Die Viertelliterklasse“
In der Verfilmung seines gleichnamigen Solos führt Roland Düringer nicht nur Regie – er spielt auch alle vier Hauptrollen.
kabarett.at / 21. Februar 2005
Gäbe es in Österreich einen Oscar für die beste Maske – er wäre der „Viertelliterklasse“ sicher. Und wahrscheinlich auch der für den besten Hauptdarsteller. Denn, wie es Roland Düringer gelingt, alle vier Hauptfiguren seines Films so akzentuiert und charaktervoll in Sprache und Gehabe darzustellen, ist wohl nicht allein seinem verwandelbaren Äußeren zuzuschreiben.
Als Sonderprüfung bei seiner schauspielerischen Leistung kommt hinzu, dass alle vier Figuren Probleme mit dem Alkohol haben. Und unter übermäßigem Promille-Einfluss verschwimmen bekanntlich die üblicherweise u.a. von Herkunft, Erziehung und gesellschaftlicher Stellung konturierten Wesens-Grenzen. Nicht so im Fall der – gewissermaßen allegorisch benannten – Herren Frust, Zorn, Angst und Stress. Erst im völlig weich gesoffenen Finale haben sich alle Vier auf die gleiche, männliche Triebsteuerung eingepegelt. Und auch dann bleiben sie noch unverwechselbare Charaktere. Vier uneingeschränkte, aber individuelle Unsympathler.
Herr Frust ist ein Lagerarbeiter in einer Computer-Firma. Ein Prolet, wie er im Buch steht. Mit klassischer Bier- und Baucherl-Säufer-Karriere, Gemeindewohnung und vom Schicksal geschlagener Kleinfamilie.
Herr Stress ist Unternehmer. Ein äußerlich gepflegter, rücksichtsloser Rüpel, Schikanierer und hingebungsvoller Freund edler Whiskeys und Obstbrände.
Herr Zorn ist als einziger des Quartetts bekennender Alkoholiker. Er hat sich mit seiner Krankheit weitgehend arrangiert – nicht aber mit seiner Umwelt, die bei ihm immer wieder unkontrollierbaren Jähzorn auslöst.
Herr Angst schließlich ist Schauspieler – und war einst ein TV-Liebling. Bis er über seine von den Boulevardmedien genüsslich ausgeschlachteten Alkoholexzesse ins Abseits gestolpert ist und sich nunmehr mit Fernseh-Werbungen und Lese-Abenden über Wasser hält. Ohne durch diesen Karriereknick einen Funken seiner arroganten Eitelkeit eingebüßt zu haben. Dabei ist er ohne seine persönliche Betreuerin und seine angeblich „homöopathischen Heiserkeitstropfen“ (Wodka) nicht überlebensfähig. Dass er mit „Erschi“ den gleichen Spitznamen trägt, wie Erwin Steinhauer, mag Zufall sein.
Diese vier Figuren, die anfänglich nur die eine Gemeinsamkeit haben, dass sie ihre jeweiligen Alltagsprobleme mit Alkohol zu umnebeln versuchen, treffen zufällig im Rahmen einer Betriebs-Weihnachtsfeier aufeinander. Für das, was dort und im späteren Verlauf der durchzechten Nacht alles passiert, ist der Begriff „Eskalation“ ein fast schon unzulässiger Euphemismus.
Bereits das gleichnamige Solo-Stück aus dem Jahr 2001 erinnerte stilistisch an einen Film. Düringer arbeitete mit präzisen Ton- und Licht-Überblendungen und einer raffiniert verschachtelten Schnitt-Technik : Dutzende Male wechselte er die Rollen, um die Lebensgeschichten der vier Hauptfiguren darzustellen. Die Verfilmung (Regie : Roland Düringer & Florian Kehrer) kommt nun erstaunlicherweise weit weniger „filmisch“ daher. Düringer hat sie klar in fünf Kapitel gegliedert. Die ersten vier gehören jeweils einer Hauptfigur – das fünfte ist das gemeinsame Finale. Das dient zwar zweifellos der Übersichtlichkeit, wäre aber ob der eingangs bereits beschriebenen Qualitäten von Hauptdarsteller und Maske gar nicht nötig.
Und weil die eigene Vorstellung dem geistigen Auge fast immer beängstigendere Szenarien vorzugaukeln im Stande ist, als eine reale Bebilderung, wirken die rauschigen Wahnvorstellungen der Protagonisten und die abscheulichen Ereignisse der Nacht – trotz ihrer beeindruckenden und teils aufwändigen Umsetzung – nicht mehr ganz so bedrohlich, wie noch in der Bühnenversion. Der Verlust auch der letzten Rudimente von Würde, Selbstachtung und Kontrolle hat indes nichts an Abschreckungskraft verloren.
Der seinerzeit bereits angedrohten, weitgehend „wuchtelfreien Zone“ bleibt Düringer auch auf Zelluloid treu. „250 ccm – die Viertelliterklasse“ war Düringers mit Abstand bestes, aber breitenunwirksamstes Solo. Denn bei der Mehrheit seiner Fans konnte er den Gag-Mangel nicht mit der komödiantischen und inhaltlichen Qualität des Stücks wettmachen. Auch der Film zielt weniger auf Cineplexxe und neue Publikumsrekorde ab, denn auf gebührende Anerkennung bei diversen Filmfestivals. Internationale Vergleiche braucht er wirklich nicht zu scheuen.
„Die Viertelliterklasse“ ist die nachhaltig widerwärtige Veranschaulichung von vier hochprozentig entgleisten Lebenswegen. Eine exemplarische Analyse der Ursachen und Folgen der gesellschaftlich akzeptiertesten Droge unserer Zeit. Dass sich vor diesem ernsten Hintergrund ein ebenso amüsanter wie spannender Film abspielen kann, verdanken wir der darstellerischen Kunst und schriftstellerischen Fantasie Roland Düringers. (pb)
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