Der Weg ist nicht immer das Ziel
Roland Düringer hat mit seinem neuen Programm „Viertelliterklasse“ die Wuchteln im Korb gelassen, aber an Format gewonnen: Peter Blau über ein verwickeltes Monodram zum Thema Alkoholismus im Erdberger Rabenhof-Theater.
Der Standard 04/2001
Ein Drogenkrimi aus mehreren unabhängigen Handlungssträngen, die sich im Verlauf des Abends zu einem gemeinsamen verdichten und schlussendlich doch wieder jeder für sich ein eigenes Ende finden. Ansatzlose Sprünge – Frequenz steigend – zwischen diesen einander immer näher rückenden Puzzleteilen, die mit Hilfe von Lichteffekten verdeutlicht werden. Erinnert doch irgendwie an Soderberghs “Traffic” – und ist doch Düringers “Viertelliterklasse”. Ihm geht es in seinem neuen Solo-Stück allerdings nicht um die Drogen-Produzenten, -Lieferanten und –Dealer, sondern einzig allein um die Junkies. Vier Österreicher mit ausgeprägtem Hang zum Alkohol – und bezeichnenden Namen: Herr Frust trinkt aus Frust, Herr Angst aus Angst, Herr Stress aus Stress, nur Herr Zorn trinkt, weil er Alkoholiker ist. Und das macht ihn zornig.
Sie alle müssen den im Blackout verloren gegangenen, ereignisreichen vorangegangenen Tag rekonstruieren. Das wiederum klingt nach “Dude, where’s my car”. Ist es aber natürlich auch nicht. Schließlich hat Düringer sein neues Werk zur “wuchtelfreien Zone” erklärt, wie er es sicherheitshalber für all jene, die das im Vorfeld nicht mitbekommen haben, vor Beginn des Stücks unübersehbar großlettrig auf die Bühne projezieren lässt. Erwartungshaltung, go home. Tendenziell hat die Warnung ihre Berechtigung. Typische Düringer-Sager, wie “meine mir Zugemutete” statt “meine mir Angetraute” sind deutlich in der Minderheit. Die Latte liegt diesmal höher und hintergründiger. “Inländer-Rum pur ?” Aber sicher: “Der Weg ist nicht immer das Ziel”.
Düringer erliegt nur ganz selten der vermutlich naheliegenden Versuchung, die Komik direkt über den Alkohol zu spielen: lustig im Öl treibende, halbweiche Scherzkekse spart er weitgehend aus. Es ist die halbwegs ernüchterte Distanz zur vortägigen bsoffenen Gschicht, die es ihm ermöglicht, die Promille auf der Bühne im Zaum zu halten. Erst kommt der Alkohol, dann kommt die Tragik – und erst dann die Komik. Manchmal. Das heißt dann Tragikomik und ist natürlich weder für Düringer, noch überhaupt eine humoristische Novität : „Das Schöne am Witz ist”, erkannte ja einst schon Günther Paal treffend, “daß dahinter immer eine schreckliche Wahrheit steht. Natürlich steht hinter allem eine schreckliche Wahrheit, aber beim Witz steht zumindest ein Witz davor.”
Dramaturgisch raffiniert waren Düringers Programme bisher alle. Nur war der Blick auf die kunstvollen Konstruktionen bislang von nicht enden wollenden Scherz-Girlanden verhängt. In der “Viertelliterklasse” ist sie erstmals deutlich sichtbar. Ein fest gefügtes, vielschichtiges Gerüst, auf dem Düringer behände und wandlungsfähig umherhüpft, um seine vier Archetypen lebendig werden zu lassen. Und besonders eindrücklich vorzuführen, wie grausam das Leben Routine-Trinkern entgleitet : aus edlem Whiskey wird billiger Fusel, aus dem eigenen Kleinkind ein Erwachsener. Doch Stress und Frust kriegen es kaum mit.
Völlig deplaziert indes, dass er nach der Pause plötzlich einen zeigefingernden Vergleich zu hierzulande illegalen Drogen zieht. Und dass er ganz am Schluss als Düringer himself auf der Bühne steht und Schmäh führt wie in alten Zeiten, ist vermutlich als ausbaufähiges Zugeständnis an einen gewissen Teil seiner Klientel eingeplant. Für den versöhnlichen Nachgeschmack. Denn ein wuchtelarmes und schmähreduziertes Programm über die Armseligkeit maßlosen Alkoholkonsums wird wohl einigen Fans sauer aufstoßen. Eine Seltenheit im Kabarett : Die Zielgruppe der Kritik wird jeden Abend eine Abordnung ins Publikum entsenden. Aber wurscht, trink ma wos. Es glauben ja auch noch immer viele, dass “Benzinbrüder” ein lustiges Programm über schnelle Autos war. “Wenn die Leute nachher sagen, das war ein spannender Abend”, hatte Düringer vorab gemeint, “wäre das für mich das größte Kompliment.” Kompliment, Herr Düringer.
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