Verdichtetes Mosaik in Trümmern
Der Standard 03/2000
“Bitte, keinen voreiligen Applaus”, ermahnt Alfred Dorfer sein begeistert Auftritts-Beifall spendendes Premieren-Publikum im “Orpheum”, “ich möchte, daß sie uns an unseren Taten messen.” Ein Dorfer braucht dafür keine hundert Tage : Nicht einmal neunzig Minuten später ist Schlussjubel angesagt. Und was für einer !
Eigentlich paßt ja in “heim.at” nichts zueinander : Dorfer confériert im lässigen Schmidt-Stil über die Innenpolitik – und zerlegt anschließend das österreichische Unterbewußtsein in seine widersprüchlichen Komponenten. Er singt die Maso-Volksweise “Heidi, kumm peitsch mi” und rollt nebenbei die österreichische Geschichte auf. Er nimmt über Medien Kontakt mit Verstorbenen auf – “und ich meine damit nicht Leserbriefe an den Staberl” – und beschwört den Geist der Sozialdemokratie, während im Hintergrund “Every breath you take” in Agonie verklingt. Er philosophiert über Vergangenheit, Zukunft und die Zeit danach, tanzt Sirtaki mit Karl Marx, läßt ferngesteuerte Lagerfeuer-Liedchen knistern, versucht vergeblich sich als “freie Minute” zu verschenken, erinnert sich seines ersten Ribiselwein-Rauschs, definiert aktuellen Optimismus als Informationsmangel und die österreichische Dialektik als die Kunst, aus den knappen Eindeutigkeiten “Na !” und “Ja !” ein langgezogenes “Na, ja …” zu kreieren.
Das klingt nicht nur etwas sprunghaft und verwirrend – das ist es auch. Zumal sich Dorfer in Dramaturgie, Licht und Ton an der Schnittgeschwindigkeit von Videoclips orientiert haben dürfte. Keine Szene dauert länger als zwei Minuten, viele nur 10 Sekunden. Und wenn das übertrieben sein sollte – so kommt es einem wenigstens vor. “Du darfst hierzulande wieder lügen – du mußt es nur ehrlich meinen.”
Bei Dorfers viertem Solo – eine Bezeichnung, mit der man seinen mehr als nur musikalischen Mitstreitern Lothar Scherpe, Peter Herrmann, Gunkl Paal und Robert Peres mit schöner Regelmäßigkeit Unrecht tut – erlebt man die Entstehung eines Mosaiks im Super-Zeitraffer. Nicht wissend, worauf er hinaus will, versucht man, Einzelteile auszumachen, wird aber ständig von neuen Farben und Formen überrascht. Man gewahrt grobe, billige und feingewobene, kostbare Werkstoffe : betörende Perlen neben platten Steinchen. Man erkennt und erfühlt hintergründige Zusammenhänge, tappt wieder in optische Täuschungen, hofft bereits, das Gesamte erahnen zu können – und steht am Ende doch vor einem schillernden Trümmerhaufen, aus dem nur ganz zart die Hoffnung leuchtet.
“heim.at” ist der außergewöhnliche Beleg dafür, daß die hohe Kunst, politisch-literarisches Kabarett mit Poesie und Philosophie zu verquicken, aufgehen kann, ohne dabei das nach Spaß verlangende Publikum durchgeistigt aus den Augen zu verlieren. Gerade der Hochdruck, unter dem “heim.at” in den vergangenen Wochen umgeschrieben und adaptiert werden mußte, hat die atemberaubende Verdichtung dieser Elemente ermöglicht. Ein Programm zur Zeit. Und das zur Zeit beste Programm.
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