IC Fahrbarer Bordell – Kabarett mit Nebenwirkungen
„Zwei Kannibalen essen einen Clown. Sagt der eine: Schmeckt a bisserl komisch.“
kabarett.at 03/2006
Das ist doch mal was Neues: Ein Kabarettprogramm zum Thema „Der Prostatakrebs und seine Folgen“. 100 Minuten weitgehend unter der Gürtellinie. Urologenkongressplaner frohlocken bereits, müssen sie sich doch in Zukunft um den Unterhaltungsblock keine Sorgen mehr machen. Und halt! Denn genau solche Flapsigkeiten werden dem Solo-Debüt des Kabarett-Routiniers Herbert Steinböck natürlich in keiner Weise gerecht. Denn für den Protagonisten geht es in „Steinböcks Bananensplitter“ (Regie: Andreas Moldaschl) um viel mehr, als nur um eine erste, schlüpfrige Sprosse auf der Solokabarettkarriereleiter. Es dient ihm viel mehr als ganz persönliches Psychodrama – und als Lehrstück. Und so obszön das Stück mit seiner anfänglichen Dauer-Erektion auch daherkommt, die nahe liegende Abteilung mit den billigen Einschicht-Scherzen umschifft es zumeist großräumig. Ein Slalom, für den dem Steuermann Respekt gebührt.
Eingebettet ist seine qualvolle Odyssee durch die diversen Instanzen des heimischen Gesundheitssystems in eine nur auf den ersten Blick geschickt geschummelt anmutende Rahmenhandlung. Diese will es, dass Steinböck sein Publikum ja in Wahrheit gar nicht mit seinen unterleiblichen Problemen behelligen möchte. Er hat ein ganz anderes Programm vorbereitet. Und zwar zum Thema Übergewicht – und die von ihm entwickelte „Abnehmen-mit-Kabarett“-Therapie: Schreib dir ein Solo-Programm, geh damit auf die Bühne und du verlierst bei jedem Auftritt 4 Kilo. So einfach ist das.
Weil er aber während seiner diesbezüglichen Ausführungen immer wieder von erklärungsbedürftigen Schmerzen geplagt wird, verdichtet sich der pathologische Nebenstrang schon rasch zum eigentlichen roten Faden des Abends. Und das ursprüngliche Grundthema entpuppt sich zunehmend als raffinierter Kunstgriff: Es ermöglicht Steinböck nicht nur, jederzeit Tipps zum Thema „Solokabarett zum Selbermachen“ einzuflechten und diese nach Belieben mit Sketches, Liedern, Slapstick-Nummern etc. zu illustrieren, sondern auch, das vermeintlich gerade spontan und zwangsläufig entstehende Kabarettprogramm über Krankheit, Krebs und Tod aus selbstironischer Distanz zu kommentieren.
Zur Veranschaulichung: Nach der Pause erklärt Steinböck ausführlich, wie wichtig es für ein gelungenes Kabarettprogramm ist, etwas Persönliches, ganz Intimes einzubauen. Das erhöhe die Publikumsbindung – und verschaffe dem Künstler im Idealfall auch noch seelische Läuterung. Folgerichtig wird es in der zweiten Hälfte dann so richtig existenzialistisch : vom ewigen Leben eines verbitterten Wackel-Dackels auf der Hutablage bis zur Angst vor einem einsamen Tod und der unvermeidlich faulgasigen Verwesung.
Doch zurück zu den erwähnten Einschüben: Besonders bemerkenswert ist Steinböcks körpereinsatzfreudige Slapstick-Nummer über rhythmische Sportgymnastik. Herzig auch sein Loblied (Musik: Erwin Bader) auf „Kleenex“-Papiertaschentücher – bei dessen Vortrag man aber stellenweise seine Enttäuschung darüber zu spüren können glaubt, dass er das weitaus bessere und passendere Lied schon vor Jahren in einem „Steinböck & Rudle“-Programm verbraten hat: Grönemeyers „Ich hab dich lieb“ veränderte er damals zu einer unvergessliche Hymne an sein etwas zu klein geratenes bestes Stück.
Geradezu grandios sind sein Sketch über die Typen in der Warteschlange der Gebietskrankenkasse und – vor allem – die Zugabe über den illuminierten Bahnhofsdurchsager, der wegen eines „tschechischen Erbrechens“ für Chris Lohner einspringen muss. Dass aus dem „IC Barbara Fortell“ der „IC Fahrbarer Bordell“ wird ist nur einer von schätzungsweise 120 aberwitzigen Versprechern, die Steinböck in diesen 3-Minuten-Monolog packt. Eine Nummer für die Ewigkeit.
Herbert Steinböck hätte es sich leichter machen können, wenn er sich bei seinem Solo-Debüt ganz auf diese seine erzkomödiantischen, darstellerischen Qualitäten verlassen hätte. Hat er aber nicht. Das wäre ihm wohl zu wenig gewesen. Mit anerkennenswerter Risikofreude wagt er sich auf das dünne Eis der authentischen Betroffenheit. Und die macht ihm dann gelegentlich kleine Striche durch die ambitionierte Rechnung. Eine Rechnung, deren Summe aber ein überwiegend absolut unterhaltsames Programm ergibt.
Das Problem dabei ist, dass Steinböck nicht nur im Beipacktext zu seinem Solo explizit verkündet, dass er hofft, mit diesem Programm viele Männer dazu bewegen zu können, zur Prostata-Vorsorgeuntersuchung zu gehen. Das ist bestimmt gut gemeint und entsprechend ehrenhaft. Gegen ein Kabarett mit Konsequenzen ist ja auch grundsätzlich nichts zu sagen. Aber: Was macht ein durchschnittlicher Mann, wenn ihm der Künstler sein Anliegen mehrmals im Verlauf des Stücks mit Leuchtschrift hinter die Ohren zu schreiben versucht? Er wendet sich ab. Wer medizinische Ratschläge will, geht zum Arzt. Wer ein Lehrstück will, geht zu Brecht. Wer ins Kabarett geht, will Unterhaltung. Nachwirkungen entfalten kann eine message also nur, wenn sie ihm unterschwellig injiziert wird.
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