Abrechnung ohne Rücksicht auf Verluste
„Papa“ I Stangl feiert sein 30-jähriges Bühnenjubiläum mit einer Abrechnung ohne Rücksicht auf Verluste. Dafür mit jeder Menge Videoeinspielungen. „Beinhartes Politkabarett“ lobte der „Standard“. Peter Blau ist anderer Meinung.
kabarett.at 10/2011
Mit der Premiere eines neuen Solo-Programms, dessen Titel ein wenig an die Wortverspieltheit der Kabarettgruppe „Brennesseln“ gemahnt, und der Präsentation des Buches „Ich, Carlo Enrico Grassa – eine sizilianische Biographie“ (Co-Autor in beiden Fällen : Hannes Vogler) feierte I Stangl vergangene Woche sein 30-jähriges Bühnenjubiläum. Herzlichen und aufrichtigen Glückwunsch jenem markanten Querkopf der Kleinkunstszene, der nicht zuletzt wegen seines langjährigen, nachwuchsfördernden Engagements als Direktor des „Kabarett Niedermair“ in der Szene noch immer allenthalben und ehrenhalber „Papa Stangl“ genannt wird.
„Es gilt die Ungustlvermutung“ ist ein Programm, das polarisiert. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Unterschiedliche Perspektiven schaffen Plastizität. Und widersprüchliche Wahrnehmungen sorgen für Diskussionsstoff. Anders gesagt: Der durchaus wertschätzenden Besprechung im „Standard“ (http://derstandard.at/1319181314552/Kulisse-Wien-NS-Virus-Die-Verbloedung-schreitet-unaufhaltsam-voran ) steht im Folgenden vorrangig Verärgerung und Fassungslosigkeit gegenüber.
Da mag Stangl gleich eingangs noch so explizit beteuern, es handle sich bei seinem Programm mitnichten um Kabarett, sondern nur um ein „100%iges Plagiat der Realität“. So einfach kommt er nicht davon. Für eine Kleinkunstbühne ist es zu wenig, die angeblich allgemeine Vertrottelung der Menschheit mit einem Songtext von DJ Ötzi und ein paar verunglückten Verkehrsschildern zu illustrieren, von denen überdies jeder Internet-User schon dutzende lustigere gesehen hat. Lang vor dem www mag das noch abendfüllend amüsant gewesen sein. Einst, als beispielsweise ein Jörg-Martin Willnauer mit seinem Album „Die Steiermark in Wort und Schild“ die kuriosesten Schildbürgerstreiche im öffentlichen Raum vorführte. Aber heute ?
Nicht nur billig, sondern überdies auch noch ärgerlich ist es, wenn sich Stangl auch noch exakt der gleichen Unterhaltungsmechanismen bedient, wie ATV und Konsorten, indem er Ausschnitte aus „Bauer sucht Frau“ und „Saufen am Samstag“ zur Belustigung seines Publikums via flatscreen zuspielen lässt. Es lacht sich ja so leicht über frauenfeindliche Dumpfgummis, der Sprache nur rudimentär mächtige Halbwüchsige und jeglicher Artikulation verlustig gegangene Alkoholopfer.
Das ist in Wahrheit haargenau die gleiche schamlose Attitüde, mit der ATV mittels der in niederen Instinktbereichen angesiedelten Zugkraft Quote machen möchte. Das ist nicht Realsatire. Das ist – wie angedroht – die Realität. Genauer gesagt : die medial aufbereitete Realität. Diese schlicht zu reproduzieren, heißt noch lange nicht, ihre Mechanismen zu entlarven. Das wäre dann unter Umständen Kabarett. Doch auf diesen Versuch wird verzichtet. Und eine ab und zu gestreifte Rahmenhandlung über einst den Nazis in Kärnten entwischte Verblödungsviren oder eine Nummer über die zentralgesteuerte Witz- und Kabarett-Industrie in China machen aus dem Abend auch noch keine Kleinkunst.
Weil wir gerade dabei sind : Ein chinesischer Aussprachefehler funktioniert als simpler Lachmacher genau so verlässlich, wie eine Böhmakler, Stotterer oder Betrunkener. Immer wieder ach so spaßig. Und dabei doch irgendwie menschenverachtend, oder? Aber, ha, wir dürfen das. Wir sind ja im Kabarett. In dem das alles ironisch gemeint ist. Wo uns das eigene Lachen ja im Hals stecken bleiben soll, in Anbetracht dessen, worüber wir uns gerade amüsieren. Und wenn sich bei jemandem dieser Effekt nicht einstellt, ist er halt zu blöd für I Stangl. Ist das so ? Nein. Nicht die geringste Andeutung lässt den Schluss zu, dass Stangl versucht, den Spieß umzudrehen.
Im politischen Teil wird es dann radikal. Hintergründigkeit und Analyse überlässt Stangl den Kollegen. Er selbst führt nur vor : sattsam bekannte kurze TV-Clips und Homepage-Ausschnitte, um sich anhand dieser über die Fremdsprachen-Defizite der Finanzministerin und den üblen Wirtshauswitz von H.C. Strache lustig zu machen. Oder auch einfach nur, um die dumpf-reaktionären Ansichten einiger FPÖ/BZÖ-Abgeordnete anzuprangern. Mit seinen fast schon stürmerischen Verhöhnungen des Feindbilds gerät er allerdings gelegentlich selbst gefährlich nah an die Humorlatte der Welser Messe. Aber er ist ja im richtigen Lager und darf das. Darf er wirklich ? Nochmals nein. Denn selbst die geschliffenste Selbsterhebung ist nur in Ausnahmefällen ein taugliches Mittel für Satire.
Und von geschliffen sind wir weit entfernt.
Gelegentlich kommt man halt an den Punkt, an dem man sich entscheiden muss, ob man dem Gegner wirklich die Wahl der Waffen überlassen will. Und mit gleicher, polemischen Stumpfheit zurückschlägt. Seine Berechtigung hätte das vielleicht höchstens vor versammelter Feindschaft am Landesparteitag. Aber nicht dort, wo ein ohnedies gesinnungsgeeichtes und in der Regel anspruchsvolleres Publikum sitzt. Nicht nur im Kabarett kann eine Abrechnung ohne Rücksicht auf Verluste nicht zu einem positiven Ergebnis führen. Ganz besonders dann nicht, wenn die Verluste vor allem die Kunst und den Tiefgang betreffen.
Schließen wir mit einer Kurzkritik von Stangls Freund und Kollegen Olivier Lendl : „Konsequent, kompromisslos, hardcore! So wie seine Fans ihn lieben und seine Feinde ihn fürchten!“ Mag sein. Das abschließende „Hut ab!“ ist allerdings Ansichtssache.
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