„Ich verzeihe allen meinen Feinden. Man gönnt sich ja sonst nichts.“
Der Standard 04/1994
In der Freien Bühne Wieden feiert man dieser Tage ein Fest der deutschen Sprache. Zeremonienmeister ist der 52-jährige Kabarettist, Liedermacher und Autor Christof Stählin, der in seinem Programm „Die Kunst der Herablassung“ vor allem die hohe Schule sagenhafter Syntax zelebriert.
Literarischstes Kabarett, in dem keine Silbe der Verlegenheit entspringt und jeder Satz einer behutsam-liebevollen Schleifung unterzogen wird, ohne dass er dadurch auch nur des Geringsten seiner lyrischen Feingliedrigkeit beraubt würde.
Stählin erweckt diese nahezu schon ausgestorbene Sprachkultur in der Figur eines stilvollendeten Dandies der Jahrhundertwende zu neuem Leben. „Ich bin nicht elitär – ich bin stink-elitär.“ Mit adäquatem Kostüm – einem Cutaway von 1900 – und entsprechendem An-spruch: Eine hinreißend kritische Arroganz, die ihm – von weit oben – erst den großen Horizont und den umfassenden Überblick über alles Gegenwärtige ermöglicht: „Ich fühle mich mit jedermann gleich – aber nicht unter meinem Niveau.“
Ein roter Faden existiert nur, um sich an ihm herabzulassen, sagt er und trifft mit seinen faszinierend-komplizierten Kaskaden jegliches Ungemach der Neuzeit in seine jeweilige Wesensmitte, ohne sie spürbar aufs Korn genommen zu haben: den Amerikanismus, den Tourismus oder den Opportunismus. Ganz zu schweigen von der biblischen Plage der Fernseh-Unterhaltung in unserer Epoche der Vollkorn-Gummibärchen aus Bodenhaltung. „Ich verzeihe allen meinen Feinden – man gönnt sich ja sonst nichts.“
Stählin formuliert und präsentiert derartig ästhetisch raffiniert, dass die Reanimation und die Konservierung von Wort und Wert zu geistreichen Genüssen gedeihen, die kein Zielpublikum benötigen: „Ich ziele nie – und auf Gruppen schon gar nicht.“ Eine hehre Haltung, die zur Österreich-Premiere der „Kunst der Herablassung“ immerhin 15 Gäste auf die Wieden lockte. Für Stählin, der bereits vor 18 Jahren seinen Hut mit dem Deutschen Kleinkunstpreis schmücken konnte, kein Grund zur Unruhe, denn „wo Licht ist, geht der Schein von selber davon aus“. Es werde hell.
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