Zeitreise am Stubentor
Der Standard /19
Gäbe es gnädige Mäntel des Schweigens in X-Large, oder gar schallschluckende Teppiche der betretenen Sprachlosigkeit – sie würden nicht genügen, das außerhalb der Reichweite jeglicher Adjektive befindliche Jammertal des neu eröffneten Kabarett Stadnikow auch nur halbwegs vor der Öffentlichkeit und v.v. zu schützen. Keine Details. Was unter dem Strich bleibt, ist einerseits der durchaus bewundernswerte Optimismus der Betreiberin Tamara Stadnikow, mit derartig geballter Armseligkeit ein Theater betreiben zu wollen, andererseits die Möglichkeit, dass das Programm „1001 Jahre Kabarett“ in der derzeitigen Dekade des Trash-Humors zum Kult avanciert. Darin hätte der Raum auf der Rückseite des Café Prückel Tradition: 30 Jahre lang gehörte er den „Pradler Ritterspiele“.
Schräg vis-a-vis dieses Etablissements, im Simpl, der einstigen künstlerischen Heimstätte Tamara Stadnikows (verfloss. Flossmann), feiert man hingegen das bereits 85-jährige Bestehen des Hauses mit dem fünften Werk der Ära Niavarani: „Schnitzelland ist abgebrannt“. Ein Programm, das in mancherlei Hinsicht interessant ist. Nicht nur, dass das Ensemble um das erz-alberne Ex-Rounder-Girl Steffi Paschke bereichert wurde, es gelingt ihm auch wieder der gewagte Spagat zwischen professionell seicht-rasanter Comedy und ernster Unterhaltung. Unter anderem durch zwei bitterböse und dermaßen ansatzlos eingesprungene Spreizschritten, dass es sogar dem zu ununterbrochenem Amusement wild entschlossenen Simpl-Publikum kurzzeitig das Lachen verschlägt. Besonders hörbar beim „Deix-Chor“, der inmitten unbeschwerter Fröhlichkeit plötzlich Klartext singt – über das Volk der besseren Nazis. Vielleicht nicht gerade die feine Klinge, aber die würde im Simpl auch niemand bemerken. Wichtig ist: Die unbedingte Gefälligkeit ist nicht mehr oberstes Gebot.
Der Rest ist routinierte Revue: komische Kostüme, perfekte Persiflagen, fideler Tanz und gut gelaunter Gesang. Dazu Sketche der unterschiedlichsten Güteklassen: teils ans Groteske grenzende Alltagssatiren, teils billige Lachhascher ohne jegliche Extremität. Besonders Komödiant Michael A. Mohapp, dessen füllige Erscheinung – in Verbindung mit einem möglichst dämlichen Gesicht – allein schon genügt, um die Simpl-Besucher zu Heiterkeitsausbrüchen sondersgleichen zu animieren, ist es nachzuempfinden, wenn er in einer Nummer den Wunsch äußert: „Ich will nächstes Jahr nicht mehr den Dicken spielen!“ Er wird das Ensemble mit Ende der Saison verlassen.
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