Zukunftsweisender Rückblick
Der Standard 06/1998
Wenn hierzulande in Rabenhöfen und ähnlichen Öffentlichkeiten in den Geschichtsbüchern des Kabaretts geblättert wird, beschränkt sich das Ergebnis zumeist auf eine gassenhauende Aneinanderreihung alter Hadern der Humor-Historie mit mäßig amüsanten Zwischentexten, die einen entweder dokumentarisch oder dramaturgisch durchkonzipierten Abend vorgaukeln wollen. Oft wird in diesen auch noch stoßseufzend die Vergangenheit verherrlicht – und Gegenwart und Zukunft kollektiv der Schwanengesang geblasen. Eine riskante Methode, die Arme triumphal in Richtung Plusquamperfekt ausgebreitet und bar jeder Orientierung verkehrt herum vorwärts zu stolpern.
Doch es geht auch ganz anders. Dazu müssen allerdings einige Glücksfaktoren zusammentreffen: u.a. ein ca. 16-köpfiges Ensemble, dessen Eifer und Engagement noch keine Routine gebrochen hat, eine interessante Auswahl wenig strapazierter und nicht vor Pointen strotzen wollender Texte – und ein Schweizer Regisseur, dem mit gesunder Distanz zum Objekt seiner Inszenierung eine kurzweilige Fleckerl-Verwebung gelingt.
Konkret handelt es sich um das vornehmlich dem politischen Kabarett der Zwischenkriegszeit gewidmeten Programm „Spitzen und Splitter“ (Weigel, Kraus, Soyfer u.a.) das die Schauspiel-Studenten der Konservatoriums- Klasse von Elfriede Ott unter der Regie von Hans-Peter Horner im historischen Raum des einstigen „Lieben Augustin“ (inzw. „Kabarett Stadnikow“) zur Aufführung brachten. Jede Szene hat Konzept, jeder Übergang Methode. Und Horner geizt nicht mit phantasievollen Kniffen und optischen Effekten, die sich schon bei seinen Inszenierungen von „Holzers Peep Show“ oder „Frank & Stein“ bestens bewährt haben. Überdies erlaubt ihm die in derartigen Kleinkunstkellern üblicherweise unfinanzierbare Fülle talentierter Darsteller ein atemberaubendes Tempo, bei dem es in der vermutlich für vier Personen konzipierten Garderobe mindestens so lustig zugehen dürfte, wie auf der Bühne.
Das Ensemble selbst arbeitet mit professioneller Präzision und erfrischender Spielfreude – andernorts muss ja das Eine oftmals das Andere wettmachen – und verfügt über einige beachtliche Leistungsträger. Und ein entzückendes Nummerngirl.
Die anscheinend schlicht unvermeidliche (s.o.) Exekution des Klassikers und zweier homöopathischer Dosen wehmütiger Erinnerungen an anno dazumal übernimmt selbstloserweise Prof. Ott selbst.
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