Heimatfremd
Barbara Spitz: „So I am erneut gezwungen, einen Zeitensprung zu machen.“
kabarett.at 09/2007
Wien in den 30er Jahren. Die 16-jährige Sophie darf zum ersten Mal allein auf eine Party. Sie lernt Max kennen. Kein standesgemäßer Umgang für sie, doch die Liebe ist stärker. Sie hält die zwei sogar im britischen Exil zusammen. Unter widrigsten Umständen.
Zeitsprung.
Tochter Barbara wächst im ausländerfeindlichen London der 60er-Jahre auf. Vorwiegend in Emigrantenkreisen. Mausert sich zum „arbeitslosen unentdeckten post-punk-rockstar“ – und nimmt 1983 ein Engagement in Wien an : bei der „Rocky Horror Show“ im Schauspielhaus. Ihre Eltern kommen zur Premiere. Besuchen erstmals nach fast 50 Jahren wieder ihre einstige Heimatstadt. Als sie nach der Aufführung zusammen in der Porzellangasse stehen, zeigen sie Barbara jenes Fenster, hinter dem sie sich in den 30er Jahren auf einer Party kennen gelernt hatten.
Es sind rührende Momente, wie diese, mit denen es Barbara Spitz gelingt, ihr Publikum zu fesseln. Dabei sitzt sie eigentlich nur auf der Bühne, liest aus einem großen Buch vor, erzählt die Lebensgeschichte ihrer Eltern, erinnert sich an die eigene und stimmt das eine oder andere Lied an. Der jeweiligen Zeit angemessene – von „Ich hab das Fräulein Helene baden g’sehn“ über „An allem sind die Juden schuld“ bis zu „We’ll meet again“. Pianist Otmar Binder begleitet sie mit gewohnt jazzigem Temperament und einfühlsamen Improvisationen. Der private Soundtrack fast eines ganzen Jahrhunderts. Umringt werden sie dabei von überdimensionalen, alten Schwarz-Weiß-Fotografien: Sophie und Max als elegantes junges Ehepaar, Barbara als aufgemascherltes kleines Mädchen.
Doch die Geschichte ist ja noch gar nicht aus. „So I am erneut gezwungen, einen Zeitensprung zu machen“, erklärt Barbara Spitz in ihrem trotz 25 Jahre Wien noch immer charmant unbemühten „Dinglish“, das gewiss auch der im Publikum befindlichen Gayle Tufts ein Lächeln entlocken konnte. Schließlich hat sie dieses humoristisch wertvolle Kauderwelsch bereits vor 15 Jahren kleinkunstsalonfähig gemacht. Wenn nicht sogar erfunden. Noch mehr Aufmerksamkeit zieht allerdings eine andere Person im Publikum auf sich. Eine zierliche, 90-jährige Dame : Barbaras Mutter Sophie, die vor zwei Jahren zurück nach Wien übersiedelt ist. In ihre Heimat? Im Beipacktext zu „Homesick“ steht: „This evening is inspired by and dedicated to my mother.“
„Homesick“ erzählt eine einzigartige und doch exemplarische Familiengeschichte. Eine, in der sich Entwurzelung, Heimatsuche und Neubeginn seit zumindest zwei Generationen wiederholen. Dass Barbara Spitz diese Geschichte mit intimer Authentizität erzählt, versteht sich von selbst. „Homesick“ ist in der zurückhaltenden Inszenierung des britischen Regisseurs Nicholas Tudor ein sehr unspektakuläres, reduziertes Kleinkunststück. Und siehe: mehr bedarf es nicht, um einen Abend zu verbringen, während dessen man sich zu keinem Zeitpunkt fragt, ob man ihn irgendwo anders hätte besser verbringen können.
- Noch bis 29.9. im Theater Drachengasse
PS: Sind zwei Programme schon ein Trend? Nach „Home, Sweet Home“ der Geschwister Pfister ist „Homesick“ schon die zweite Produktion dieser noch jungen Kleinkunstsaison, die den Begriff „Heimat“ im Titel trägt und sich ihm mit englischem Akzent (Ursli Pfister) nähert. Darüber hinaus besteht allerdings keine Verwechslungsgefahr …
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