Wenn Puppen die Luft ausgeht
Pezi, Helmi, Fips & Co in einem nur teilweise originellen Hardcore-Puppen-Singspiel
kabarett.at 04/2007
Ein einziges Wort genügt, um die nun folgende Kritik zusammenzufassen: Schade! Denn was bei der ersten Puppentheater-Eigenproduktion des Kabarett Simpl mit Originalität und frechem Schwung geradezu sensationell beginnt, endet leider auf recht ausgetretenen, langwierigen und -weiligen Musical-Pfaden. Den drögen Nachgeschmack hat sich „Krawutzi Kaputzi“ aber eigentlich nicht verdient.
Sehenswert ist das mit dem Prädikat „Strengstes Jugendverbot“ versehene Stück von Johannes Glück (Regie: Werner Sobotka) nämlich auf alle Fälle. Schon allein wegen der Puppen und ihrer Schau-Spieler. Pezi, Helmi, Fips, Kasperl, Tintifax, Zwerg Bumsti, Mimi und viele andere der tief eingebrannten Helden jener, die ihre Kindheit in den 70ern und 80ern verbringen durften, sind inzwischen in die Jahre gekommen – und ihre Lebenswege sind keineswegs so harmlos verlaufen, wie ihre TV-Abenteuer. Pezi steht privat kurz vor seinem eintausendsten (!) One-Night-Stand und hilft beruflich dem Umsatz der Trafik seines lieben Großvatis mit dem Verkauf von homegrown Marihuana auf die Sprünge. Helmi hat eine schwere Depression und steht an der Kippe ins Kriminal. Eine schiefe Bahn, die die beiden Obdachlosen Kasperl und Tintifax schon längst hinter sich haben. Fips, die graue Maus, ist ein biederer Bankangestellter, der sich nicht traut, zu seiner Homosexualität zu stehen, und Bumsti ist zu einem widerlichen Macho-Zwergerl herangewachsen.
Bewegt werden die ausdrucksstarken Oberkörper-Puppen (gestaltet von Bodo Schulte und Erika Reimer) von multitalentierten Darstellern, die sich fast synchron mit ihren Figuren bewegen und deren Stimmungen und Emotionen mit der eigenen Mimik verstärken. Ein zauberhaft wirksames Mittel. Denn selbst ohne bewusst auf die Puppenspieler zu achten, übertragen sich deren Gesichtszüge wie von selbst auf die Figuren. Hinzu kommen noch die stimmliche und tänzerische Virtuosität fast des gesamten Ensembles. Alle sind sie mit Spaß und Präzision bei der Sache. Hervorzuheben sind höchstens Roman Straka (Fips, Bumsti, Kasperl) und Sigrid Spörk (Minki). Die beiden verschmelzen geradezu mit ihren Figuren.
Schon das Opening – eine Hymne auf das Meidlinger „L“ – ist an choreographischer Furiosität und Ausstattungs-Witz kaum noch zu übertreffen. Die Originalität der Charaktere und ihre sozialdramatischen Lebensumstände, die pointierten Liedtexte, das hochgradig versatile Bühnenbild (Markus Windberger und Petra Fibich) und schließlich eine von leibhaftigen Faserschmeichlern umtanzte Sex-Szene lassen die ersten 30 Minuten wie im Flug vergehen. Ein veritables Theater-Ereignis scheint sich anzubahnen. Doch man soll den Abend nicht vor dem Finale loben. Denn ab dann ist dem Autor nicht mehr viel Bemerkenswertes eingefallen, was er seine absonderliche Versammlung kurioser Gestalten aufführen lassen könnte.
„Krawutzi Kaputzi“ – bis zu diesem Moment ein frech-schräges und sehr komisches Hardcore-Puppen-Singspiel – biegt in den mainstream altbekannter Plot-Muster ein. Und dort geht diesem anfänglich so prallen Spaß im Verlauf der noch ausstehenden 90 Minuten allmählich die Luft aus. Alle angerissenen Handlungsstränge werden nach teils langen Durchhängern erwartungsgemäß und ziemlich konventionell zu Ende gesponnen. Einzig der Zwischenauftritt von Kasperl und Tintifax sorgt noch einmal für dynamische Ausgelassenheit.
Fazit: Schade drum. Gut gekürzt hätte das die Simpl-Sensation des Jahres werden können. Der euphorische Applaus des Publikums ist aber dennoch absolut gerechtfertigt. Denn etwas Derartiges bekommt man in Wien schließlich nicht alle Tage zu sehen.
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