Mangelnde Sprungkraft
Der Standard 09/1995
Bunt und beschwingt wie jedes Jahr beschert der Simpl – in der dritten Spielzeit der Niavarani-Ära – auch heuer seinem Publikum eine Revue, die allen Anforderungen einer unbeschwerten Unterhaltungsshow gerecht wird. Doch werden die Erwartungen nicht mehr als erfüllt. Zu hoch liegt die selbstgelegte Latte nach dem Vorjahrs-Erfolg und vor allem der im vergangenen Frühjahr für Furore gesorgt habenden Musik-Show „Florence Foster Jenkins Award“, als dass sie vom schon im Anlauf phasenweise unrunden und im Absprung unentschlossenen neuen Programm übersprungen werden könnte. Diesen Umstand offenbar vorhersehend, finden sich in „1. April 996“ auch musikalische und inhaltliche Anleihen aus den erwähnten Vorläufern, die allerdings wiederaufgewärmt nur Bruchteile ihrer einstigen Zugkraft auf die Bühne bringen. Auch Persönlichkeiten wie Hugo Portisch, Marcel Reich-Ranicki und andere dankbare Opfer pointierter Parodien – offenbar unverzichtbare Säulen eines Kabarettprogramms, die trotz mangelnder aktueller Relevanz im Simpl künstlich am öffentlichen Leben gehalten werden – sind nicht die erhofften humoristischen Sprungfedern, die sie vielleicht vor Jahren einmal waren. Hinzu kommt ein vor allem in der zweiten Programm-Hälfte spürbares „wie komme ich aus dieser Nummer wieder ‚raus“-Syndrom, das sich in doublettenhaft wiederkehrenden Schlussgags manifestiert, die alle das Symptom „Zuerst schließen wir krampfhaft den Kreis und dann rasch den Vorhang“ aufweisen: Die Wiener Unterweltler, die vom als Russen-Mafia getarnten Lausch-Kommando der Stapo abgehört werden sollen, entpuppen sich als gleichermaßen verwanzte Agenten des Innenministeriums im Einsatz gegen die Russen-Mafia, der vom Rasterfahndungs-Computer überführte Mörder als das eigentliche Opfer der Bluttat und der Rubbel- und Brief-Los-Süchtige als Casino-Croupier. Ein zwanzigminütiger Siegeszug der Entpuppungs-Pointe.
Dass der „1. April 996“ trotz all dieser Widrigkeiten einen Besuch im Simpl rechtfertigt, verdanken wir neben den heuer abwechslungs-reicheren Choreographien (Kurt Schrepfer) vor allem dem Ensemble: allen voran Michael Niavarani selbst, der als Sackbauer in der Fledermundl-Operette und als „Schiejok täglich“ brilliert. Weiters Michael Mohapp, überzeugter Alkoholiker und Frühpensions-Beamten-Pappa-ante-portas, Markus Mitterhuber in der grotesken Rolle einer rebellischen Türglocke und Neuzugang Rupert Henning als Kärntner Jäger auf Touristen-Pirsch. Hingegen wird seitens der Inszenierung (Werner Sobotka) auf den auffälligen und effektvollen Einsatz der komödiantischen Talente der drei weiblichen Ensemble-Mitglieder (Butbul, Hauser, Soucek) aus unerklärlichen Gründen heuer weitgehend verzichtet.
Was trotz allem Gelächter bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack nach humoristischer Routine. Bei aller Achtung vor der sprunghaften Entwicklung, die der Simpl in den vergangenen Jahren unter der neuen Leitung mit Bravour vollführt hat – es könnte überhaupt nichts schaden, wenn sich die künstlerisch Verantwortlichen – respektvoll aber nachdrücklich – gegenseitig in die Allerwertesten träten.
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