Alles andere als unbequem
Kabarett Simpl – “Zwischen allen Stühlen”
Vom Streptokokken-Clubbing bis zur Gfrett-Tauschbörse
kabarett.at / 16. September 2006
“Vermehren kann ich mich ganz allein”, wehrt die reizvolle Lungenentzündungs-Bakterie die Annäherungsversuche einer ungustiösen Fäkal-Bazille ab – und liefert damit das Stichwort für den Sekunden-Auftritt einer durch spontane Zellteilung entstandenen zweiten Lungenentzündungs-Bakterie. Das alles spielt sich im Erdnuss-Schälchen einer Cocktail-Bar ab, ist Bestandteil einer der wenigen etwas schrägeren Nummern der neuen Simpl-Revue “Zwischen allen Stühlen” (Regie : Dolores Schmidinger) – und ist vor allem symptomatisch für die Ausnahme-Stellung, die das “Kabarett Simpl” in der heimischen Kleinkunst-Szene auch weiterhin innehat. Wo sonst würde für einen 1-sekündigen Auftritt eigens ein Ganzkörperkostüm geschneidert werden ? Und das ist nur der winzige, sichtbare Teil des Aufwands. Gar nicht erst zu Gesicht bekommt der Besucher all jene Garderoben, Requisiten und Bühnenbilder, die für Nummern hergestellt wurden, die im Lauf der Proben und Einspielvorstellungen wieder aus dem Programm geflogen sind. Trauriges Treibgut des gnadenlosen Theaterbetriebs, das fürs Scheinwerferlicht geschaffen in irgendwelchen dunklen Ecken sein staubiges Dasein fristet – und schwer enttäuscht von der eigenen Wiederverwertbarkeit träumt. Die Tränen könnten Einem kommen. Vielleicht erbarmt sich ja mal eine/r der AutorInnen und verpasst ihnen eine maßgeschneiderten Sketch.
Zurück zum Thema : Der Aufwand hat sich gelohnt. Die Ausstattung kann sich auch heuer wieder sehen lassen. Zusammen mit der im Vorjahr im Zuge des Umbaus erneuerten Technik (moving lights!) sorgt sie geradezu für optische Opulenz. Daher sollen diesmal einige jener, die sonst bei Kritiken immer unter den Tisch fallen, gleich zu Beginn gebührend gewürdigt werden : Die Kostüme stammen von Gaby Rajtora, die Bühnenbilder von Markus Windberger und Petra Fibich. Glückwunsch. Ganze Arbeit !
Solange das Auge beschäftigt ist, merken Ohr und Hirn nicht, dass sie allzu oft weit unter der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigt werden. Das bunte und actionreiche “Partei-Catchen” ginge beispielsweise problemlos auch als effektvoller Stummfilm-Slapstick durch. Die “Wahl-Umfrage” im Publikum war schon vor vier Jahren Bestandteil des Programms – und lebte auch damals nur notdürftig von ihrer Aktualität. Die Idee, dem Hundekot-Problem in Wien mittels einer Image-Kampagne für das Trümmerl als Glücksbringer beizukommen, ist nur dank der verlässlichen Komik von Markus Mitterhuber und Bernhard Murg einen Sketch wert. Ganz generell gilt : wenn der souverän conférierende Herbert Steinböck, die beiden soeben erwähnten langjährigen Eckpfeiler des Simpl-Ensembles und auch der heuer erstmals mitwirkende Thomas Strobl (vom Duo “Strobl & Sokal”) in ihren gemeinsamen Szenen zu betont lächerlichen oder charakterkomischen Figuren finden, wird der Spaß – völlig unabhängig vom Text – unvermeidlich. Ob als unterbelichtete Fußballer oder überbezahlte ÖGB-Bosse.
Die in den Ensemble-Nummern tadellose und grundsätzlich ulknudelige Angelika Nidetzky (“Echt fett”) ereilt indes das traurige Schicksal, mit dem plumpsten Sketch des Abends auf der Bühne allein gelassen zu werden. Das hat sie nicht verdient. Und mit ihren verzweifelt überdrehten Rettungsversuchen macht sie alles nur noch peinlicher.
Althäsin Sigrid Hauser darf indes in gleich drei Solo-Nummern erwartungsgemäß brillieren. Ob als “Frau Bezirksvor-Stenzel” (“Mutter Theresa der Hofratswitwen”), als bolero-beschwingte Organisatorin eines verpatzten Vierer-Ziegels oder eine vom kleinen Glück träumende Favoritner Friseuse – she’s got what it takes : von hemmungslos Blödeln bis herzlich Berühren.
Das humoristische Highlight des Abends hat Autor Johannes Glück beigesteuert. Danke für die “Gfrett-Tauschbörse”, wo jedes Ärgernis – vom enervierenden Elternsprechtag bis zum lästigen Ex-Lover – einen neuen Besitzer findet. Alles, außer das unüberbietbare Gfrett, mit der Schwiegermutter zur Alfons-Haider-Premiere gehen zu müssen. Das will sich nun wirklich niemand antun. Eine Pointe, die immer spitzer wird, je öfter sie strapaziert wird.
Bleibt abschließend nur noch die Frage, warum ausgerechnet ein Tucholsky-Zitat als Titel für diese zwar abermals hochprofessionell produzierte, aber in ihrer Beliebig- und Gefälligkeit doch etwas zu selbstzufrieden daherkommende Revue herhalten muss ? Zwischen allen Stühlen ist es nämlich vor allem eines : unbequem. Und gerade das kann man heuer vom Simpl nun wirklich nicht behaupten. (pb)
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