Atomkraft und Ultraschall
Gery Seidls zweites Solo – über explosive Gelsenvernichtungsmittel, impulsive Jordanier und die Freuden der Vaterschaft. „Danke und baba für alles !“
kabarett.at 01/2010
Das ist doch mal etwas Neues ! Kabarettprogramme, in denen sich die Hauptfigur aufgrund einschneidender Ereignisse von ihrem durchschnittlichen Alltag sukzessive verabschiedet, immer weiter in kuriosen Fantasien verschwimmt oder groteske persönliche Abgründe offenbart, gibt es viele. In seinem zweiten Solo-Programm dreht Gery Seidl diesen dramaturgischen Spieß um. Aus einer höchst absonderlichen Ausgangssituation wird er im Verlauf des Programms in seine private Normalität zurückgeholt. Mag sie ihm auch noch so alles andere als alltäglich vorkommen.
Nun ist es aber oftmals so, dass sich dieser Boden der Realität für einen distanzierten Betrachter oder Kabarett-Besucher weit weniger spektakulär darstellt, als für denjenigen, der seine Spalten und Klippen gerade im echten Leben bewältigen muss. Um ihn daher kabarettistisch urbar zu machen, bedarf es deutlicher satirischer Überspitzungen oder besonders pointierter Perspektiven. Umso mehr dann, wenn das ganze Privatleben gerade um eine grundsätzlich nicht ganz neue Thematik kreist. Sonst droht die Gefahr einer möglicherweise etwas belanglosen Nabelschau.
Und damit genug der oberlehrerhaften Theorie – und hinein in die humoristische Praxis von „Spaghetti mit ohne“. Da geht es anfänglich um einen erfolglosen Erfinder mit französischem Akzent, einen Schnellkochtopf mit Atomkraft, einen diplomatischen Autounfall mit sehr undiplomatischem Ausgang, ein explosives Gelsenvernichtungsmittel mit fürchterlichen Folgen für die Anni-Oma und einen jordanischen Verhörspezialisten mit ohne Skrupel. Nicht zu schweigen von den Erinnerungen des Erfinders an seine vielen Verflossenen : „Sigrid – die zarteste Versuchung, seit es Implantate gibt.“ Ihre Brüste seien wahre Berge gewesen – „aber leider war die Almhütte unbewirtschaftet“.
In Summe eine raffiniert verschachtelte und temporeiche erste Programmhälfte mit viel Situationskomik und witzigem Rollenspiel. Und ein durchaus verheißungsvolles Szenario.
Doch dann kommt der ganzen Geschichte plötzlich ein Ultraschallbild dazwischen. Und in der zweiten Hälfte dreht sich plötzlich alles nur noch um die bevorstehende Vaterschaft des Erfinders – und ihre Folgen. Von der Namensfindung bis zur drohenden Aufklärung. Weiterhin verlässlich gewitzt, aber die Originalität tut sich in diesem Umfeld doch spürbarer schwerer. Das Finale ist dann ein schon fast verwegener Versuch, die aufwändig konstruierte Rahmenhandlung nicht ganz verpuffen zu lassen.
Erste Hälfte – powered by Atomkraft. Zweite Hälfte – powered by Ultraschall. Der Vergleich macht sie sicher. Dass „Spaghetti mit ohne“ trotz der inhaltlichen Inkohärenz ein durchaus abendfüllend amüsantes Stück Kabarett ist, verdankt es vor allem der sympathischen, fast schon stipsitsisch einnehmenden Ausstrahlung und dem natürlichen Schmäh von Gery Seidl. Ein ob des vergleichsweise enttäuschenden zweiten Gangs etwas schaler Nachgeschmack bleibt. Wie bei „Spaghetti mit ohne“ eben.
PS : Nicht nur in Anbetracht von Gery Seidls kleiner Tochter, die zuckersüß und putzmunter bis zum Ende der Premierenfeier im Niedermair für Stimmung sorgte, ist es natürlich nur allzu verständlich, dass einen werdenden Vater die diesbezüglichen Freuden und Nöte vollinhaltlich in Anspruch nehmen. Was bleibt einem Kabarettisten denn dann anderes übrig, als diese beherrschenden Gedanken ins Programm einfließen zu lassen ? Hat ja auch schon fast Tradition in der heimischen Kabarettszene: von „Auf gute Nachbarschaft“ (Lendl) über „Kinderwunsch“ (Jirkal) und „Zwei Männer und ein Baby“ (Peter & Teutscher) bis zum „Jungväteralarm“ (Kosch, Lendl, Winkler & Feistritzer).
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