Der Impersonator
Für eine einzige Vorstellung kommt Georg Schramm diese Woche nach Wien. Dass er nicht zu unrecht als kabarettistischer Psycho-Terrorist tituliert wird, bewies er erst unlängst bei einem Auftritt am anderen Ende des deutschsprachigen Raums. Peter Blau hat Georg Schramm auf Sylt getroffen.
profil 09/2001
Sturmwarnung an der Nordseeküste. Und die Wogen gehen diesmal nicht nur am Sylter Strand besonders hoch. Auch im gediegenen Veranstaltungszelt des „Meerkabaretts” stehen die Zeichen auf Sturm. Denn inmitten des eher dem fröhlichen Entertainment verpflichteten Spielplans dieses Kleinkunstfestivals gastiert Georg Schramm auf des Deutschen zweitliebster Urlaubsinsel. Und mit locker-leichtem Ferien-Amusement hat ein Schramm nichts am Hut. Mit einem Publikum, das mehrheitlich aus betuchten Sommerfrischlern besteht, eigentlich auch nicht. Aber gerade darin liegt für den 52-jährigen und im Lauf seiner 17-jährigen Kabarett-Karriere mit allen maßgeblichen Preisen ausgezeichneten Künstler der besondere Reiz: „Ich spiele ja viel lieber gegen das Publikum, als mit dem Publikum”. Wobei er die persönlichen Angriffe auf sein vielschichtiges Klientel genau dosiert: „Es ist eine Gratwanderung, bei der man nicht zu weit gehen darf. Schließlich kann man nur ein Publikum beleidigen, das noch im Raum ist.”
Mit seinem neuen Soloprogramm „Mephistos Faust“, das er diesen Samstag im „Vindobona“ erst- und vorläufig einmalig in Österreich zeigt, wird er jedenfalls seinem Ruf, einer der kompromisslosten Satiriker des deutschsprachigen Kabaretts zu sein, wieder nachhaltig gerecht. Aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet und illustriert er hintergründig und hinterhältig, pointiert und scharfsinnig die gesellschaftlichen und politischen Zustände – und macht seinem Ärger Luft: über die „Rückkehr Deutschlands in das Orchester der kriegführenden Nationen”, das Ende der Arbeiterbewegung, die Kleinkunst-Tendenz zum nebenwirkungsfreien „Du darfst”-Kabarett oder die zynische Methodik moderner Motivationstrainer: „Wenn euch einer die andere Wange hinhält – schlagt zu !”
Ein wechselbadreiches, gewagtes Spiel, bei dem Schramm zweifellos seine 12-jährige, vor-kabarettistische Tätigkeit als Psychologe zugute kommt: Mit Liebe zum Detail und großem Verständnis für menschliche Wesenszüge schlüpft er in die unterschiedlichsten Rollen. Seine Bühnen-Figuren sind keine billigen Karikaturen, sondern entlarvende Charakterstudien, von deren authentischer Intensität sich schon so mancher aufs Glatteis führen ließ. Bei der Verleihung des “Salzburger Stiers 1990” kam es zu einem regelrechten Eklat: In Unkenntnis des Auszuzeichnenden unterbrach damals ein namhafter heimischer Kabarettist Schramms Auftritt nach wenigen Minuten mit lautstarken Beschwerde-Zwischenrufen. Er war davon überzeugt, tatsächlich den von Schramm verkörperten, besonders unsäglichen Kulturveranstalter vor sich zu haben. So viel zu Schramms darstellerischer Überzeugungskraft.
„Es ist keineswegs so, dass ich irgendwann draufgekommen wäre, dass die künstlerisch wertvollste und anstrebenswerteste Kabarettform jene ist, in Figuren zu spielen”, räumt Schramm ein, „ich kann es einfach nicht anders.” Als Höchststrafe empfindet er es, wenn er bei Preisverleihungen oder ähnlichen Anlässen als der, der er wirklich ist, auf eine Bühne gehen muss : „Ich bin meiner selbst so wenig sicher, dass ich dann immer versuche, einen Georg Schramm zu spielen. Und das ist für alle Beteiligten wenig schön.”
So versteckt sich denn in jeder seiner Figuren ein wenig vom echten Schramm. Unverkennbar familiäre Wurzeln hat z.B. der verzweifelt an seinen sozialdemokratischen Idealen festhaltende Drucker August: „Die Figur ist mein Vater”, erklärt der nicht nur geographisch links unten in Deutschland beheimatete Kabarettist: „In meiner Familie wurde die Welt immer von unten betrachtet. Meine Abneigung gegen die sogenannten ‘besseren Leute’ sitzt tief. Und ich treffe immer wieder Menschen, die dafür sorgen, dass ich diese Haltung nicht ändern muss.”
Aus seiner Bundeswehrzeit stammt sein Dienstgrad „Offizier der Reserve” und die erschreckende Figur des Oberleutnant Sanftleben, der seine menschenverachtende Gesinnung hinter der Maske jovialer Kameradschaftlichkeit verbirgt.
Seine bekannteste Kreatur ist aber zweifellos jene mit der Hand-Prothese : der verbitterte Rentner Dombrowski zählt zu den Stammgästen von Dieter Hildebrandts TV-„Scheibenwischer” und wird oft als „alter Faschist” kategorisiert. Weit gefehlt: „Ich verstehe gar nicht, wie man darauf kommen kann. Diese Figur ist mir doch persönlich sympathisch. Ihre Grundeinstellung lautet: Man kann nicht lustig sein in dieser Welt. Wer lacht, ist nur zu blöd, das Grauen zu sehen und zu verstehen.”
Eine Einstellung, die Schramm womöglich näher liegt, als ihm lieb ist: „Meine Kinder sagen, dass ich wahrscheinlich einmal genau so werde im Alter. Aber das geht ja nun nicht mehr, weil dann alle glauben, ich spiele meine Figur weiter – und keiner nimmt mich mehr ernst.” (pb)
Georg Schramm: „Mephistos Faust”
8.9. Vindobona, Wien,
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