Kein schöner Land
Der Standard 05/1995
„Heimat ist all das, was mich zu der gemacht hat, die ich heute bin“, ist der Weisheit vorletzter Schluss, knapp vor dem Ende einer einstündigen, ganz persönlichen Wurzelsuche zwischen Israel und Österreich, die die Schauspielerin und Sängerin Schlomit Butbul im Bar & Co Theater Drachengasse allabendlich unter dem Titel „Das Land wo Milch und Honig fließen“ veranstaltet.
Es sind simple Alltäglichkeiten aus dem Leben eines Menschen, dem das Glück zuteil wurde, in mehreren Kulturen und Ländern aufwachsen zu dürfen, die sie ohne Bühnen-Tamtam (Buch & Regie: Rüdiger Hentzschel) erzählt: tränenreich und freudestrahlend, nüchtern und phantastisch. Scheinbar unwichtige Einnerungsbruchstücke und biographische Details, die sich erst rückblickend zu seelischen Schwergewichten oder lebensläufigen Wendepunkten entwickelten.
Doch es ist weniger, was sie erzählt, als viel mehr, wie sie es erzählt. Mit welch intuitiver Virtuosität sie von drückender Schwermut nahtlos zu fröhlicher Leichtigkeit findet. Wie sie berührt, ohne sich aufzudrängen. Wie sie in einer fremden Sprache singt – und doch jedes Wort zu Herzen geht. Das ist nicht etwa das Ergebnis professioneller Rampenroutine, mit dem es so manch einem gelingt, den Mangel an persönlicher Ausstrahlung zu kompensieren, das ist vielmehr die Faszination und Strahlkraft jener, die sich – aufrichtig und aufrecht – ihrem Publikum offenbart.
Selbst der sich üblicherweise anbietende Fluchtweg in die emotionale Abgehobenheit des „ist ja alles nur Theater“-Blickwinkels ist verschüttet, denn auf der Bühne steht keine Schauspielerin, sondern die nackte, unspektakuläre Wahrheit. Eine teils verwundbare, größtenteils bereits vernarbte Offenherzigkeit, der man auch Ecken und Kanten und kleine Stolperer zugesteht – denn wann macht das Herz schon runde Sachen?
Und im Hintergrund – zum Herzschlag-Rhythmus des Percussionisten Metin Meto – lacht das Saxophon des Herwig Gradischnig und weint der Bass von Achim Tang. Der Weisheit letzter Schluss? „Schlomit baut eine Hütte des Friedens“, die der beste Beweis dafür ist, dass multilinguale Bausteine sprachloses Einverständnis schaffen können.
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