Schmecks
Der Standard 01/1997
Schuld an dem ganzen ist Christoph Schlingensief. Hätte er mit seinen sommerlichen Wien-Gastspiel „Begnadete Nazis“ nicht das Niveau der Kultur-Debatte auf Begriffe wie „Geschmacklosigkeit“ oder „Ge-schmacksentgleisung“ reduziert, wären die Veranstalter Jochen Herdieckerhoff und René Berto – kurz : „Ecce homo“ – vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, das von ersterem in Deutschland bereits erprobte Konzept eines „Festivals des schlechten Geschmacks“ auch in Wien durchzuführen.
Mit aufsehenerregenden Aktionen haben die beiden in Wien jedenfalls bereits Erfahrung, traten sie doch vor einem halben Jahr mit der Plakat-Serie für das Gay-Entertainment-Festival „Wien ist andersrum“ erstmals in Erscheinung und eine Welle der scheinmoralischen Empörung los. Doch Provokation ist ihnen höchstens Mittel zum Zweck einer Auseinandersetzung mit den Prangern öffentlicher Vorverurteilung. Das Festival wollen sie als ein deutliches Statement gegen die Willkür der selbsternannten kulturellen Sittenwächter und Grenzposten des sogenannten „guten Geschmacks“ der Wiener Hochkultur-Szene verstanden wissen, die den Boden aufbereiteten für jene Angst vor potentiellen Peinlichkeiten, die inmitten der behäbigen kulturellen Neidgenossenschaft der Hackl- und Kusshandwerfer zum Hemmschuh jeglichen spannenden Fortschritts geworden sei.
Dementsprechend beabsichtigt ist es daher auch, mittels der dreiwöchigen Präsentation teils virtuoser, teils einfach naturgemäßer Grenzgänger und Polarisatoren aus Kunst und öffentlichem Leben, die Öffentlichkeit und ihre Vertreter aus der sicheren Reserve zu locken. Zu diesem Zweck gastieren u.a. Wiglaf Droste (21.- 23.1.), die „Titanic“-Mannschaft (24.& 25.1.), der Brutalo-Trash-Comedian Leo Bassi (28.- 31.1.), Medien-Mattscheibler von „premiere“ Oliver Kalkofe (4.2.) und Harry Rowohlt (6.& 7.2.) im Orpheum. Höhepunkt des Festivals droht der „Ball des schlechten Geschmacks“ (5.2.) zu werden, zu dem Deutschlands derzeit bester stand-up-comedian Michael Mittermaier erwartet wird und Kabarettist Martin Puntigam als DJ Perlen der Musikgeschichte beizusteuern gedenkt. Nicht zu vergessen die von Letzterem geleiteten Bus-Rundfahrten des Grauens „Unser Wien von seiner unappetitlichsten Seite“ (ab 20.1.). (pb)
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