Lieber Kitsch als Kunst
Der Alleinunterhalter als Weltverbesserer: Stand-up-Comedy mit message.
kabarett.at / 24. September 2004
Taucher und Raucher. Finnwale und Radiomoderatoren. Navigationssysteme und Unschuldslämmer. Sprücheklopfer und Golfanfänger. Unerschütterliche Schnarcher und betrunkene Ärzte. Nur eine kleine Auswahl all jener Dinge, die Gerold Rudle in seinem zweiten Soloprogramm pointiert streift oder lässig auf die Schaufel nimmt. An einer nicht enden wollende Assoziationskette schwingt er sich über Gott und die Welt von einer Geschichte zur nächsten. Und verliert dabei vorübergehend das Gefühl für Raum und Zeit. Erst nach knapp eineinhalb Stunden entlässt er sein Publikum in die Pause. “Jetzt haben wir es dem Düringer endlich beigebracht, sich kurz zu halten, jetzt fängt der Rudle an”, seufzt Vindobona-Techniker Karl Künstler. Am Ende war aber auch er versöhnt, denn in der zweiten Hälfte der “Streicheleinheiten” beschränkt Rudle seinen entspannten Erzählfluss auf unter 40 Minuten. Fazit : Jubel, Trubel, Heiterkeit und euphorischer Applaus.
Ja, seine Geschichten über seine Taucherlebnisse und Begegnungen mit Walen vertragen noch kräftige Kürzungen. Und bei seinen Betrachtungen weiblicher Verhaltensweisen ist ihm außer den üblichen Klischees nicht viel eingefallen. Aber damit wären die Kritikpunkte eigentlich auch schon abgehakt. Am Besten ist Rudle, wenn er über seine Geschlechtsgenossen herzieht : über ihre ach so lustigen Sprüche, ihren Umgang mit Frauen und ihre Unfähigkeit, mit Veränderungen zurecht zu kommen. Allesamt in der Steinzeit der Gefühle steckengebliebene, simpel gestrickte Kreaturen, die sich wie durch ein Wunder seit Jahrtausenden der Evolution widersetzen: “Warum sind wir Männer nicht schon längst ausgestorben ?”
Die große Qualität seiner stand-up-comedy liegt in der Erzählweise. In seinem präzisen Körpereinsatz, mit dem er jede Emotion illustriert. Kaum ein Satz, den er nicht nonverbal veranschaulicht. Mit Gestik oder Geräuschen. Es macht einfach Spaß, sich von ihm Geschichten erzählen zu lassen. Ob das jetzt ein Horrortrip in ein türkisches Hamam ist, die erste Begegnung mit seinem Schwiegervater oder seine Gedanken zum mitternächtlichen Fernsehprogramm: “Wenn die alle so gern telefonieren wollen, warum rufen sie sich nicht gegenseitig an ?”
In Rudles Stil lassen sich zweifellos Ähnlichkeiten mit jenem von Michael Mittermeier entdecken. Formal, wohlgemerkt, und auch das nur ansatzweise. Denn obwohl Rudle auf der Bühne ständig in Bewegung ist, verfällt er dabei nie in penetrante Hampelei. Und publikumswirksame Faxen aus den unteren Laden für Schlüpfrigkeiten haben bei ihm auch keinen Platz.
Tatsächlich sieht Rudle seine kabarettistische Funktion nicht nur als Alleinunterhalter, sondern auch als wertkonservativer Weltverbesserer. Der seltene Fall von Comedy mit message. Rudles Auftrag: Lebensfreude vermitteln – als Katalysator für eine zwischenmenschliche Harmonisierung. “Der Sinn des Lebens ist es, andere glücklich zu machen”, wusste schon Charlie Brown. Und das geht halt deutlich leichter, wenn man seinem irdischen Dasein grundsätzlich positiv gegenüber steht.
“Kitsch ist, wenn einem etwas gefällt – und man traut sich nicht, das zu sagen”, definiert Rudle gegen Ende seiner Darbietung, “und Kunst ist, wenn einem etwas nicht gefällt – und man traut sich nicht, das zu sagen.” So gesehen, ist es ganz in Ordnung, dass das Finale ziemlich kitschig ausfällt. Besser als künstlich …
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