Erfüllung verschoben
Der Standard 04/1998
„Was macht mehr Spaß: Singen oder Streiten?“, fragt sich Lena Rothstein zu Beginn ihres Liederabends. Erwartungsgemäß lautet die Antwort „Singen“. Denn das sei „gesünder, weniger anstrengend – und außerdem haben die anderen auch etwas davon.“ Drei Argumente, die erst bewiesen werden wollen. Denn so ganz ihr Abend war die Premiere des dritten Teils ihres Zyklus „Metamorphosen“ im Theater des Augenblicks wohl nicht.
Die Tontechnik reagiert auf jeden Einsatz mit spürbarer Verspätung, den Schalter für den gnädigen Hall – zur Vertuschung allzu deutlicher stimmlicher Ton-Unschärfen – findet sie erst in der zweiten Hälfte. Das Licht, das so schön hätte werden können, fuhrwerkt im freien Fall und zerstört selbst die Ansätze jener Atmosphären, die zu erzeugen es ausgezogen war. Die Band, sofern man ihre Arrangements unter dem Gesang von Frau Rothstein noch wahrzunehmen vermag, wirkt wie das beiläufige Terzogeschäft dreier zweifellos virtuoser Solisten (Micky Landau, Günther Wildner, Adula Ibn Quadr). Dazu klebt Lena Rothstein am Textbuch und bleibt in ihrer Phrasierung und Intonation entsprechend – und für ihre Verhältnisse überraschend – mangelhaft. Zumindest stereotyp.
Alles Symptome ein und desselben Übels, zu dessen Unterstellung es nicht viel Diagnostik bedarf: zuwenig geprobt. Ohne Fundament hat die Inspiration einfach keinen Auftrag. Da kann Lena Rothstein noch so geschmackssicher Lieder in einem halben Dutzend Sprachen zusammenstellen und – zwar unwesentliche, aber immerhin unaufdringliche – Zwischentexte über erste Liebe & 68’er-Revolution, Brecht & Bachmann beisteuern. Trotz einiger heller Momente nach der Pause, in denen groove und Intensität Lebenszeichen von sich gaben – die angekündigte „Erfüllung“ blieb weitgehend aus.
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