Gib dem Sonntag einen Sinn
“Wenn du nicht kriegst, was du dir wünschst, Honig, wünsch dir, was du kriegst.”
kabarett.at
Liebes Tagebuch. Der Sonntag war schön. Ich war im Orpheum und habe viel gelernt. Unter anderem, dass Meerschweinchen zu Homosexualität tendieren. Dass Tausendfüßler für “Universum” synchronisiert werden müssen. Welches Verwandschaftsverhältnis der Steinpilz mit dem Fußpilz pflegt. Wann und wo die Stunde des Frottierers schlägt. Dass es eine nach Boris Becker benannte Schneckenart gibt. Dass Quarks ihre Energie aus Sehnsucht beziehen. Was “Hoa-Zwitzler” und “Knedl-Reida” sind. Und dass der Wolf keine Magensäure hat. Zumindest nicht in Gegenden, wo eine Geiß mit Schere, Nadel und Faden hantieren kann. In Märchen gelten eben andere Naturgesetze.
“Weil, warum”: Ex-Ostbahn-Kurti Willi Resetarits und Projekt-X-Leiter Gerald Votava laden ab sofort an jedem Sonntag zu einer verspäteten Matinée (ab 13:00 Uhr) ins Wiener “Orpheum”, in dessen Verlauf sie nicht nur in sehr entspannter Manier Lehrreiches und Lustiges zu einem ausufernd amüsanten Dialog verknüpfen, sie singen auch ganz wunderbare Lieder. Falsch. Sie singen auch Lieder, die man bisher womöglich nicht für so wunderbar gehalten hat. Aber auf eine Art und Weise, dass sich deren Originalinterpreten allesamt in die Ecke stellen und schämen sollten. Nicht zuletzt dank der gefühlvoll jazzigen Instrumentierung durch das “Guggenbichler-Trio”.
“Wenn du nicht kriegst, was du dir wünschst, Honig, wünsch dir, was du kriegst.”
Nichts leichter als das. War einem ja bis vor kurzem noch gar nicht bewusst, dass man sich so einen Nachmittag hätte wünschen können. Wann immer die dargebotene Unterhaltung einer wissenschaftlichen Basis oder Bereicherung bedarf, ist der Falter-Kolumnist und ganz offenbar General-Gelehrte Peter Iwaniewicz als Fachmann für alle Fälle zur Stelle und glänzt mit seinem prägnant formulierten, geballten Wissen. Dann darf das Gespräch wieder weiter wuchern, seine sagenhaften Blüten treiben und auf einem gut vorbereiteten Gerüst seine subtil-komischen, improvisierte Kapriolen vollführen.
Während Resetarits vom “Chefsessel” aus augenzwinkernd räsoniert, sinniert und vor keinem Kalauer zurückschreckt (Iwaniewicz : “Silberfischchen sind Ur-Tierchen.” – Resetaris : “Die wissen also immer, wie spät es ist.”), räkelt sich Votava im Seidenpyjama – “aus eigener Zucht” – auf einer Kunstledercouch, streut schräge Ansichten ein und schlüpft in bester “Projekt-X”-Tradition gelegentlich in andere Rollen und Kostüme. Als Schnupfenbazille legt er einen wahrhaft atemberaubenden Ausdruckstanz hin und als abgeklärtes Silberfischchen stimmt er den Titelsong der TV-Serie “Es war einmal – der Mensch” an. 1000 Jahre sind ein Tag – und drei Stunden vergehen wie im Flug.
Resetarits und Votava sind der Heinz und der Conrads der Zukunft. Beides keine Freunde der schnellen Pointe, aber große Meister im fast schon bedächtigen Vorexerzieren origineller Gedankengänge, die den Zuhörer vom ganz Kleinen ins ganz Große und wieder retour führen. Eine private, poetische und populärwissenschaftliche Verplauderei, gespickt mit Nonsens, Aberwitz und musikalischen Perlen. So simpel und so schön. Und eine so ur-wienerische Unterhaltungsform, dass die beiden eigentlich stante pede zu Botschaftern der Bundeshauptstadt ernannt werden müssten. Der Sonntag hat endlich wieder einen Sinn.
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