Aus der Reihe
Der Standard 04/1999
Lukas Resetarits tanzt nicht. Da kann sein Musikus Robert Kastler einen noch so furiosen Dancefloor-Mix durchs Orpheum blasen. Resetarits schaut – und steht. Und ist endlich Ruhe eingekehrt, fängt er an zu erzählen : über seine Kindheit und Jugend, Kostümbälle und Tanzschulen, Wunschträume und Desillusionierungen, über Panda-Bären und Weddell-Robben, Schönheits-Ideale und Video-Recorder. Ganz persönlich, aber nicht privat – im Hader’schen Sinn. Denn seine Erinnerungen fügen sich zu keinem aus Fakten und Fiktionen, Lebenslauf und lustigen Lügen kurios konstruierten Einzelfall zusammen, sein Rückblick ist vielmehr ein über weite Strecken zeitgeschichtlicher Spiegel der Gefühlswelt, in dem sich jeder wiederfindet, der in den vergangenen 50 Jahren irgendwann einmal jung war. Wer wollte nicht einst Mistaufleger werden, nur weil sich die Herren in orange so elegant aufs Trittbrett schwingen dürfen ? Beiläufig und unaufdringlich, mit vergleichsweise wenigen Konzessionen an die von ihm gern als “Schenkelklopfer-Partie” kategorisierte Teilmenge seines Klientels, löst er Wohnraumnot und Ressourcen-Knappheit mit einer Rückzüchtung des Menschen auf Barbie-Puppen-Größe, vertauscht die Vorzeichen vor dem Schneller-Höher-Weiter-Wahn und illustriert das Selbstbestimmungsrecht des Menschen mit einem aberwitzig absurden Original-Wirtshaus-Dialog über Fleischlaberl.
Resetarits versteckt sich – entgegen seiner Gewohnheit – in seinem neuen Solo hinter keinen einstudierten Figuren und auswendig gelernten Nummern. Er ganz allein steht auf der Bühne, conferiert und improvisiert – ohne jemals den Faden verlieren zu können, weil er ihn sich selbst spinnt. Spickzettel, ade. Jene wenigen Programmteile, denen man ihre ursprüngliche Herkunft als eigenständige Sketche – über Stronach, Handy und Club-Urlaube – noch anmerkt, wirken dabei schon fast wie überflüssige Ornamente an diesem aus einem Guß gefertigten Meisterwerk. Resetarits darf sich mit seiner sorgfältigen Liebe zur Wiener Mundart sogar die kabarettistische Billigkeit erlauben, Schüssel auf sein Mascherl zu reduzieren : Als “Herr Gurgl-Bropölla” allemal.
Die Absicht, die hinter der amüsante Aneinanderreihung vermeintlicher Belanglosigkeiten oder Banalitäten steckt, wird am Ende deutlich : mit unverändert heiterer Harmlosigkeit gleitet er zu Krieg und Frieden, Gut und Böse über. Ein nur kurzer, aber tiefer Stich unter die Haut – und ein Schlußlied, das sitzt : “ … und wir lassen uns tanzen, und tanzen uns weg.”
Der einzige Tanz, den Resetarits mit seinem neuen Programm vollführt, ist jener aus der Reihe. Aus vielen Reihen. Jahrelang brav gehegte und erfüllte Erwartungshaltungen sind schließlich dazu da, um irgendwann gebrochen zu werden.
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