Reich und unschön
„Neuerdings muss ich mich immer übergeben, wenn ich lache !“
kabarett.at 04/2006
Der honorige Hundefutterfabrikant Faist hat ein heftiges Herzleiden. Also kauft er sich kurzerhand einen indischen Organspender. Doch nicht all seine Probleme lassen sich so leicht lösen. Tochter Ricarda – eine schwer verschuldete Adabei-Schlampe – brilliert aktuell in der Hauptrolle eines im Internet verbreiteten Fistfuck-Videos. Sohnemann Ricardo – der begehrteste Junggeselle des internationalen Jet-Sets – hat soeben als skrupelloser Fahrerflüchtling flächenbrandige Unruhen ausgelöst. Gattin Gerlinde – ein ebenso berechnendes wie medikamentenabhängiges Nervenbündel – hat im Herzspender ihre orientalische Jugendliebe namens Aschanti wiederentdeckt. Onkel Carlos – ein nervöser Auftragskiller – ist in jeglicher Hinsicht dermaßen hinüber, dass die geradezu klassische Smalltalk-Frage „Wie geht’s eigentlich deiner Tollwut“ gar nicht mal sonderlich auffällt: „Neuerdings muss ich mich immer übergeben, wenn ich lache.“ Und mit jedem Anruf kommt eine neue Hiobsbotschaft hinzu.
„Ein Ort wie ein ewiges Testbild“
Zurückgezogen hat sich diese scheinheile, liebe Familie in einen Raum, in dem sie selbst die Gesetze macht. Dass in Böheimkirchen – „ein Ort, an dem sich Kriegsverbrecher freiwillig stellen“ – die wörtlichen Bestandteile „Bohème“ und „Kirche“ schlummern, ist daher kein Zufall. Die Faists haben sich gut abgeschottet von der minderbemittelten Umwelt. Für Vertreter niedererer Schichten haben sie bestenfalls Verachtung übrig. Und das auch nur dann, wenn sie tragischerweise dem Sportwagen von Ricardo in die Quere kommen. „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist“, beichtet er seinem Vater, der mit steifer Oberlippe konstatiert: „Es war wohl eher umgekehrt.“
Beachtliche Besetzungsliste
Wolfgang Pampel ist als skrupelloser „Big Daddy“ ein Fels in der schicksalschlagartigen Brandung, die der vermeintlich geruhsame Lebensabend für ihn bereithält. Der Synchronsprecher von Harrison Ford ist ein wohltuender Ruhepol inmitten etlicher mit Plakatschreibern überzeichneter Charaktere. Am dezentesten geben es noch Stefan Fleming als schleimiger Schönling Ricardo und die ewig röstfrische Dany Sigel als genervte Gemahlin des Familienoberhaupts. Erhard Hartmann, zur Zeit als Problemlöser „Kupetzky“ nicht besonders erfolgreich in der Donnerstag-Nacht des ORF unterwegs, muss als kaputter Carlos zwangsläufig alle Register der Outrage ziehen, um seinen vielfältigen Verfall glaubhaft zu verkörpern.
Knallcharge und One-Trick-Pony
Weit weniger nachvollziehbar ist es, warum ausgerechnet der ansonsten gerade mit schauspielerischen Nuancen zu pointierter Rollengestaltung fähige Gregor Seberg gleich in drei Nebenrollen den Clown abziehen muss. Immerhin macht es ihm ganz offensichtlich Spaß, einmal die Knallcharge heraushängen zu lassen. Ob ihrer eingeschränkten Funktion zwangsläufig eher blass bleiben Robert Palfrader als gutherziger Organspender und Rudi Roubinek als Butler. Bleibt noch Sissy Löwinger als eine in gnadenloser Unwürde gealterte Paris Hilton. Ein immer wieder peinlich berührender Fall für sich, bei dem es schwer fällt, zwischen zügelloser Selbstentäußerung und unfreiwilliger Komik zu unterscheiden. Als ihr bester und einziger Gag entpuppt sich zunehmend die Idee von Autor und Regisseur David Schalko, sie ausgerechnet diese Rolle spielen zu lassen.
Parodie hat Pause
Warum Schalko bei diesem im „Rabenhof“ installierten grellen Zerrspiegelkabinett der geldadeligen Seitenblicke-Society so dick aufträgt, ist klar: Um das Prinzip und die Gesetze der Telenovela zu parodieren, muss auf die Tube gedrückt werden, wo es nur geht. Schalko geht in seinen Bemühungen um ironische Distanzierung sogar so weit, seinen erfundenen Figuren gegen Ende kurzzeitig zu gestatten, aus ihrer virtuellen Welt realitätsebenensprunghaft auszusteigen: In Wahrheit sind die meisten Darsteller bereits die Zweit- oder Drittbesetzung ihrer jeweiligen Rollen und haben zum Teil keinen Schimmer von der Herkunft oder Historie ihrer eigenen Figuren. Aber es hilft alles nichts: das Ergebnis ist und bleibt trotzdem „nur“ eine Seifenoper. Zugegebenermaßen eine, in der alles und jeder auf die Spitze getrieben wird. Eine, in der sich untote Charaktere auch in Folge 537 noch verzweifelt um Charisma bemühen. Schrill, träschig, mit einigen gelungenen Pointe und angemessen heftigem, pseudo-pathetischen Mienenspiel. Also in Summe hinlänglich unterhaltsam.
Als Fazit bleibt dennoch einmal mehr: Wenn uns die Wirklichkeit im Fernsehen bereits die Realsatiren liefert, hat die Parodie Pause. Um den oberflächlichen, künstlichen und bedeutungsscheinschwanger aufgeblähten Leidenschaftsreigen von TV-Soap-Serien nachhaltig zu Leibe zu rücken, müssen eindeutig andere Saiten aufgezogen werden.
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