Elementarteilchen am Scheiterhaufen
Der Standard 03/1998
Ein Atomphysiker muss bis zur heißersehnten Anstellung in Europas modernstem Teilchenbeschleuniger sein Einkommen als Quark-Darsteller im Elementarteilchen-Ballett des dem Forschungszentrum angeschlossenen Vergnügungsparks „Teilchenbeschleuniger-Land“ fristen.
Unterschieden sich Martin Puntigams Kabarett-Szenarien und Protagonisten in ihrer konsequenten Kuriosität bislang generell und grundlegend von jenen seiner Kollegen, mutet obige Ausgangsbasis für sein neues Solo „Wildwochen“, das derzeit im Kabarett Niedermair zu sehen ist geradezu realistisch an. Kein bestützräderter Auto-Mensch mit V12-Zylinder („Innenaussaugen“), keine gebürtige Sex-Maschine mit Haube („Puhlassen im Weltall“). Dafür ein aggressiver Akademiker, der eine verkorkste Kindheit und eine gescheiterte Kleinfamilie hinter sich hat und nunmehr dreimal täglich eine demütigende Maskierung – unförmig ausgestopfter, schmutzig-oranger Body in Luftpolster-Klarsicht-Verpackungsfolie mit Ballettschuhen und Hundekopf-Kapperl – über sich ergehen lassen muss, um sein Lebensziel zumindest im Auge zu behalten.
Wobei seine Beziehungsgeschichte in ihrem Strickmuster – gebrochene Romantik, vergebliche Konflikt- und Krisenbewältigungsversuche etc. – und ihrer verträumten Vortragsweise doch frappante Analogien zu jener des bewährten Schreck-Sperma-Erfinders aus „Innenaussaugen“ aufweist. Das ändert aber nichts daran, dass die „Wildwochen“ wieder zweifelsfrei zum „österreichischen Spitzenhumor“ (Untertitel) und ihr Schöpfer zu den herausragendsten Vertretern der „Hochleistungs-Unterhaltung“ (Eigendefinition) zu zählen sind.
Sprachlich und humoristisch bewegt sich Puntigam diesmal auf breiter zugänglichen, etwas gemähteren Wiesen. Denn statt seine Pointen in die gewohnt gestelzten und faszinierend deplatzierten Text-Verkleidungen zu hüllen, schickt er sie in „Wildwochen“ überraschend unmissverständlich und stromlinienförmig ins Rennen. Die unverändert hohen Kuriositätswerte dieser grotesken Tragikomödie resultieren daher mehr aus der abermals selbstentäußernden Darstellungsweise – inkl. Hundefutterverzehr – und vor allem dem ungebremsten Aufeinandertreffen von physikalischen Fakten auf phantastische Fiktion, von emotionslosen Elementarteilchen auf tragikomische Schicksals-Scheiterhäufen, die für den frustrierten Wissenschaftler trotz ständigen Strebens und Strampelns schwerwiegende Stolpersteinen auf seinem Lebensweg darstellen.
Zum eigentlichen Nuklearforscher aber wird der Betrachter, dem sich von der parabelförmigen Panoramastraße am Kraterrand aus immer wieder neue überwältigende Blickwinkel auf des Pudels elendigen Kern bieten.
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