Konsequente Übelkeit
Der Standard 01/1997
Wer sich von einer „Stadtrundfahrt des Grauens“ unter der fachkundigen Leitung von Martin Puntigam – im Rahmen der „Wochen des schlechten Geschmacks“ – eine Bustour zu den kleinen Sünden und großen Verbrechen urbaner Architektur erwartet, hat nur ansatzweise recht. Denn, was Puntigam anpackt, hat weit mehr als nur Hand und Fuß – es geht durch Mark und Bein. Wie zum Beispiel die sülzige Wien-Hymne „A guater Platz zum Leb’n“, die Puntigam mit penetranter Konsequenz während der dreistündigen Fahrt pausenlos abspielen lässt. Ein akustischer Härtetest, gnädig aufgelockert nur durch die mit absolut fremdenverkehrstauglichen Anekdoten und Legenden amüsantest angereicherten kulturhistorisch und kommunalwissenschaftlich wertvollen Kommentare des Reiseleiters – über die Prachtbauten der Ringstraße, die Ausgrabungen in Carnuntum, die Spanische Hofreitschule u.v.a. Einziger Schönheitsfehler und Auslöser aberwitziger Kontraste: Der Bus bewegt sich derweil ausschließlich durch vernachlässigte, vorstädtische Grauzonen. Von der Per-Albin-Hansson-Siedlung – „Beachten Sie die Gleichförmigkeit des Kunst- und des Naturhistorischen Museums“ – über die gesperrte Ausfahrt Simmering der A23 – „Willkommen am Cobenzl. Genießen sie die Aussicht“ – bis zur Mülldeponie Rautenweg – „wir besuchen nun die Prunkräume des Schlosses Schönbrunn“.
Zur Abrundung des angestrebten allgemeinen Unwohlseins zeigt Puntigam ein liebevoll gestaltetes Video der entgleistesten Wien-Huldigungen heimischer Publikumslieblinge, teilt Knabber- und Getränke-Raritäten aus, die wegen merkantiler Erfolglosigkeit nicht mehr im regulären Handel erhältlich sind und verwandelt den Fahrgastraum mittels einer kraftvollen Klimaanlage und eines penetranten Vanille-Duftbaums zwischenzeitlich in eine ekelerregende Aroma-Sauna.
Fazit: Es gibt nicht Schlimmes, außer man tut es. Oder: Die „Stadtrundfahrt des Grauens“ ist ein gelungenes Gesamtkunstwerk des schlechten Geschmacks, das den Blick schärft für jene Erlebenswürdiggkeiten, vor denen wir aus Rücksicht auf unser ästhetisches Gleichgewicht allzu leicht unsere Sinnesorgane verschließen – und für die es sich auszahlt, die nötigen Nerven aufzubringen. (pb)
(Abfahrt bis inkl. 6.2. jeweils Mo & Do um 14:00 Uhr vor der Albertina. Kartenbestellungen unter 481 17 17)
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