Schwungvolle Unerzogenheiten – mit dem falschen Finger
Der Standard 10/1995
Das rotbezopfte Lindgren-Gör wird heuer 53 Jahre alt. Schon für die dritte Kinder-Generation verkörpert sie Freiheit, Phantasie – und Rebellion gegen die disziplinären Normen und gedankliche Beschränktheiten der Erwachsenenwelt. Ihre gutgelaunten Unerzogenheiten gegen Exekutivbeamte und Erziehungsberechtigte treibt sie nun auch in Musical-Manier allwochenendlich im Kabarett Niedermair.
Nina Gabriel spielt die junge Besitzerin der Villa Kunterbunt, des Äffchens „Herr Nilsson“ und des Pferds „Kleiner Onkel“ mit auffällig elastischer Mimik und erfrischendem Elan. Vor allem aber so, wie man Pippi bisher kannte. Und das ist gut so. Alle übrigen zwölf (!) Rollen werden von nur drei (!) Darstellern – Jutta Rudle, Hannes Lengauer und dem besonders schalkigen Werner Brix – mit vielseitigem Spielwitz verkörpert.
Das Niedermair-Team um Erna Wipplinger (Regie) hat die vom Verlag vorgesehene Bühnenfassung textlich, musikalisch und dramaturgisch kräftig adaptiert und erweitert. Das verleiht ihr zwar zweifellos jenen phantasie-vollen und spielfreudigen Pep, der für die bisweilen mit Verve aufs Publikum überspringenden Funken verantwortlich ist, lässt allerdings stellenweise bedeutungsschwangere Zeigefinger aufblitzen, wo höchstens – wenn überhaupt – Mittelfinger am Platz wären. Denn das ist ja das große Plus und das Erfolgsgeheimnis von Pippi: Dass nirgends vorder- oder hintergründig Belehrung stattfindet, sondern sich die gesunde Skepsis gegenüber Autoritäten und andere „Botschaften“ unauffällig zwischen den Zeilen vermitteln.
Schwamm drüber. Im Vordergrund steht auch im Niedermair die befreiende, generationsüber-greifende und pädagogisch unersetzliche Freude, wenn eine feine Damen in die Flucht und Kraftprotzen auf den Kopf geschlagen wird. Besonders bemerkenswert sind die plakativen Kostüme (Caterina Czepek) und die farbenfrohen und vielfältig funktionalen Kulissen (Angie Ott), die den für ein Musical doch vergleichsweise gering dimensionierten Bühnenraum optimal auszunutzen verstehen. (pb)
Niedermair, 8., Lenaug. 1a, 408 44 92, bis auf weiteres Sa/So 14 & 16 Uhr, Do 16 Uhr
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