Berliner Weise mit Schuss
Pigor & Eichhorn – “Volumen 4”
„Ich weiss das klingt jetzt wieder arrogant, doch für mich ist Österreich ein reines Transitland.“
kabarett.at / 2. März 2006
Benedikt Eichhorn ist nicht zu beneiden. Drei Programme lang musste er sich von frontman Thomas Pigor nun schon schulmeistern und demütigen lassen – und jetzt stellt ihm dieser wandelnde Widerspruch aus Arroganz und Charme auch noch die Rute ins Fenster. Sie heißt Ulf und ist jünger und moderner als der klassische Chanson-Pianist Eichhorn. Ulf bedient einen Synthesizer, der zwar ein wenig so aussieht, als habe er ihn im vergangenen Jahrhundert bei einem Workshop von “Jugend forscht” gebastelt – aber er funktioniert und sorgt auch bei altbekannten Liedern für frischen groove und vielfältige Geräuschkulissen.
Mit ihrem unverwechselbaren musikalischen Stil widmen sie sich nun also zu dritt den großen und kleinen Anfeindungen des Alltags, die zumeist in Gestalt von Mitmenschen daherkommen : Wurstverkäuferinnen, die einen absichtlich ignorieren. Nervtötende Bekannte, die einen nötigen wollen, beim Umzug zu helfen. Kleine, dicke Frauen, die als rücksichtslose Rammböcke den Alltagstrott zum Spießrutenlauf machen. Hämmernde Heimwerker und andere lästige Lärmerreger. Mit einer gesunden Portion spießiger Intoleranz und gelegentlich überheblicher Larmoyance gönnt sich Pigor seine egozentrische Weltanschauung. Und man würde ihn dafür ja verabscheuen, wenn er dabei nur nicht so schelmisch, so gescheit und so unwiderstehlich wäre.
Was auch immer Pigor thematisiert, es denkt es um eine Ecke weiter und formuliert es um ein Eckhaus gewitzter. Oder umgekehrt. Über das fatale Faible von Politikern, historische Vergleiche mit dem 3. Reich anzustellen, muss man erst einmal ein Lied schreiben. Oder über die Fettleibigkeit verwesungsresistenter Amerikaner. Oder über die Hypochonder-Bibel namens “Pschyrembel”. Von den Pigor & Eichhorn-Klassikern über die Philosophie Heideggers und Hitlers Morgentoilette ganz zu schweigen. Ihre Chansons strotzen nur so vor nüchterner Bissigkeit, kurioser Komik und frechem Scharfsinn.
Und das alles in einer Tonart, für den sie ob ihrer Unbeschreiblichkeit nicht umsonst das Wort Salon-Hiphop erfunden haben. Lieder, deren rhythmisch origineller Rapgesang und überraschende Harmonien oft so klingen, als wären sie des nächtens in einer Ausnüchterungszelle bei einer zufälligen Jam-Session von Miles Davis und Marshall Mathers entstanden. Was soll man auch anderes von einem Pianisten erwarten, der bei seiner Akkordarbeit im Geist Vorwahlnummern deutscher Städte wählt … Aber das soll er ihnen am besten selbst erklären.
In jeder Sekunde ihres präzisen, diesmal dreiecks-dramatischen, augenzwinkernden Rollenspiels haben “Pigor & Eichhorn” ihr Publikum fest im Griff. Kein Wunder : das Programm hatte bereits in Deutschland bereits vor über fünf Jahren Premiere. Was der Freude keinen Abbruch tun soll. In der Sparte Musikkabarett sind die Wahl-Berliner nämlich schlicht eine einsame Klasse für sich. Und mit der Unterstützung von “Ulf” wird ihre große Kunst noch facettenreicher. Ein Pflichttermin für anspruchsvolle Freunde raffinierter Musik und hinterhältig-intelligenter Pointen.
Nachzuhören heute Freitag (3.3.) ab 20:00 Uhr auf Ö1 (“Kabarett direkt”). Mitzuerleben morgen Samstag (4.3.) ab 19:30 Uhr im “Kabarett Niedermair”. Unbedingt ! (pb)
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