Fräulein Courage und ihre Schwestern
Der Standard 06/2001
Das Publikum weiß, warum es gekommen ist. Darum versorgt es seine “Geschwister Pfister” – noch bevor die auch nur einen Pieps von sich geben haben – gleich mit ausgiebigem Vorschuss-Gejohle. Und Ursli, Toni und Fräulein Schneider werden den hochlattigen Erwartungen abermals mehr als nur gerecht. Merci vielmals. Alle Habseligkeiten in ihrem Thespiskarren – ausgestattet mit Feldküche und gut sortierter Minibar – begeben sich die Publikumslieblinge des “Wien ist andersrum”-Festivals “On the run”.
Selbstverständlich fest verwurzelt in ihren markanten Charakterrollen : Ursli gibt den extrovertierten, verführerischen Narziss. “Ich bin eine kind of moderne christ figure”, stellt er kauderwelschend gleich zu Beginn bescheiden fest, “I bring joy to the world!” Gegen diese Aura kommt selbst die Nebelmaschine nicht an: Die gesamte Bühne ist in weißen Qualm gehüllt ist, nur rund um Ursli bleibt die Sicht konsequent ungetrübt. Wie machen die das nur ?
Schillernd und strahlend vor Selbstbewußtsein weiß sich aber auch das bulgarische Fräulein Schneider resolut ins rechte Licht zu rücken. Mit sprachlichen und modischen Akzenten : einer aufgetürmten Obst-Pagode als Kopfbedeckung oder einem puscheligen Muff aus Robbenbaby. Mit blauer Farbe angesprayt, also politisch korrekt, oder?
In den nicht enden wollenden Schatten dieser beiden Rampensau-Figuren steht Toni, Urslis großer Bruder : ein Kiesel in der überschäumenden Brandung seiner beiden Bühnenpartner, der zumeist vergeblich um Dezenz und zumindest einen Anflug von Seriösität auf der Bühne bemüht ist.
Ein kontrastreiches Spannungsfeld, in dem sich Aberwitz und Hintersinn vielfältig austoben können : professionell, lustvoll und mit einem Höchstmaß an Präzision – und doch wirkt alles so frisch, als würden es sich die “Pfister” mal eben aus dem Ärmel schütteln. Möglich machen das die unerschütterlichen Eckpfeiler ihrer Darbietung : lässige, musikalische Perfektion – auch seitens des Jo-Roloff-Trios – und souveräne Bühnen-Präsenz. Keine Sekunde lang unsicheres Schwanken. Und das obwohl das Trio in seinem neuen Programm durchaus auch Drahtseilakte wagt. Nicht umsonst heißt ihre Show “On the run” – und will mit den Mitteln des Showbiz den Gepflogenheiten des Showbiz kräftig in die allerwertesten Weichteile treten.
Respekt! Wer so schmachtvoll zu Michael Jacksons Heuler “Heal the world” ausholen kann, dem graust wirklich vor gar nichts. Dagegen sind so unsägliche Schlager wie “Jamaika Mama” oder die Party-Polonaise “Feierabend” geradezu leicht verschmerzliche, amüsierende Streifschüsse. “Nicht klatschen”, mahnt Fräulein Schneider immer wieder, “spenden sie lieber für einen guten Zweck”. Verstehe : Charity, lass mich angelehnt, und Bussi-Bussi höchstens kreuzweise.
Wenn Ursli schließlich den tragbaren Altar zu Ehren ihrer verstorbenen Verwandtschaft errichtet und heftiger Selbstbeweihräucherungs-Gestank das Zelt durchzieht, ist das Mahnmal gegen die Mechanismen und Verlogenheiten des “horizontalen Unterhaltungsgewerbes” komplett. Fräulein Schneider: “Das macht mich nachdenklich.” Ursli: “Das wird das beste sein, Fräulein.” (pb)
- Bis 17.6. im ”Europride”-Zelt am Schottentor
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