Kabarettistische Zukunftsmusik
Der Standard 10/1995
Er schickt sich an, den Witz neu zu erfinden, ist eine beliebte Formulierung, wenn ein Humorist aus dem Rahmen des gerade Gängigen fällt. Doch im Fall von Günther Paal kann davon nicht die Rede sein, obschon er auch in seinem zweiten Programm seinem Publikum ein dermaßen beträchtliches Quantum an Ausgeschlafenheit abverlangt, wie es einige andere hauptberufliche Munter- und Spaßmacher zu verursachen im Stande sind. Doch eine Neuerfindung ist diese geniale Verquickung von Geist, Sprache und Witz gottlob nicht. Günther Paal bereichert diese literarische Tradition der humoristisch-intelligenten Wortpflege aber durch die Einflechtung stilistisch nur scheinbar gänzlich unpassender Allerwelts-Wuchteln der Marke „Ein Schluck aus der Nase ist die Auster des kleinen Mannes“. Sie sind es jedoch, die – zum verstohlen lächelnden Amusement des Vortragenden – jene fehlstartfreien Lachentladungen evozieren, die die Illusion der Nähe zwischen Bühne und Auditorium herstellt. Nur eine Illusion, ist Paals Publikum doch die überwiegende Zeit vollauf damit beschäftigt, die sich drohend öffnende Kluft mit Gekicher aufzufüllen – um nur ja nicht in den Verruf zu geraten, einen intelligenten Witz nicht verstanden oder einen nicht naheliegenden Bogen nicht nachvollzogen zu haben. Selbstbetrug mit der Gewissheit, dass der nächste nacherzählbare Gag nicht lange auf sich warten lassen wird. Noch.
Darüberhinaus ist „Das Beste aus den nächsten sechs Programmen mit Ausnahme des fünften“ – ganz abgesehen vom Titel – allein schon von seiner Struktur her ein Geniestreich: Ein als weitblickende Zukunftsmusik getarntes Nummernprogramm, das Gunkl überdies die klang- und sinnvolle Penetration des Konjunktivs ermöglicht. Mit teils spielerischer Geschwollenheit, teils urwüchsiger Natürlichkeit – und ohne Verzicht auf sich auf selbige beziehende selbstironische Seitenhiebe – erzählt der sprachliche Feinmechaniker vom „Museum der Missverständnisse“, in dessen Keller all jene Missverständnisse lagern, die nicht aufgeklärt wurden und daher als Wahrheit gelten, über die Nacht vom 13. auf den 27. September, in der ihm der Rausch ein Gedicht diktierte, von dem sagenhaften Fluch der Sphinx im Hause Huxtableborough und von einer Schublade im Knie. Und das alles ist erst die Hälfte dessen, was Günther Paals Phantasie anlässlich seines zweiten Kabarett-Solos hervorgebracht hat, denn es gibt tatsächlich zwei gänzlich unterschiedliche Programm-Versionen, die er wahlweise zum Vortrage bringt. Ein abermaliger Besuch scheint entsprechend unvermeidlich.
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