Fruchtgenuss im Landschaftszimmer
Der Standard 09/1999
Nach dem Dachstuhleinbruch im Landschaftszimmer droht die Delogierung. Doch ungestraft vergreift sich niemand am Fruchtgenuß – dem lebenslangen Nutz- & Wohnrecht – der wohltemperierten Wohngemeinschaft in der “Villa Valium”. Wer sich mit der zu jeder Verzweiflungstat fähigen Oberkanins, der tatkräftigen Hundefriseuse Rettig, dem Sondereinsatz-Kommandanten Aleks und vor allem mit der listenreichen Lucy McEvil anlegt, kann sich auf ereignisreiche Tage gefaßt machen.
Erste öffentliche Pluspunkte sammelte dieses Wiener Szene-Quartett “O.R.A.L.” bereits anläßlich der vorsommerlichen Eröffnungs-Gala von “Wien ist andersrum 4”: Damals retteten sie das vom illuminierten Moderator Georg Uecker angezettelte peinliche Finale mit einer musikalischen Einlage dankenswerterweise vor dem endgültigen Absturz. Ihr Debut-Programm “Villa Valium” (Regie: Rüdiger Hentzschel) wurde wegen des überraschend großen Erfolgs jetzt vom Metropol wiederaufgenommen.
Formale Vergleiche mit den Programmen der “Geschwister Pfister” liegen nahe. Auch “O.R.A.L” betten ihr vielfältiges Liedgut – von “Hanky Spanky” bis “Light my fire” – in eine schräge, bisweilen schlüpfrige Rahmenhandlung. Doch in der “Villa Valium” ist es weniger das professionelle Entertainment schweizer Prägung, als viel mehr die überschäumende Spielfreude, mit der die verblüffenden Vier überzeugen. Wobei sie, Amateure im besten Sinne, bei ihrer dionysischen Darbietung zusätzlich eine beachtliche Präzision an den Tag legen. Ganz besonders bei der Zeichnung ihrer Charaktere: Wenn Cobra-Aleks harm- und hilflos in die Runde schaut, steht jeder Schutzinstinkt Habt Acht. Und Lucy traut man ohne weiteres die von ihr mit Nadel und Faden im Do-it-to-yourself-Verfahren praktizierte Schönheitschirurgie zu. Zugegeben wird das “Chanson d’amour”, das in der Villa-Version “Schau’s an, die Hur” heißt, und die wienerliederliche Moritat von der “Engelmacherin vom Diamantengrund”. Einer Karriere als Österreichs Botschafter auf allen Szene-Festivals im deutschsprachigen Raum steht eigentlich nichts mehr im Weg.
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