Viagra-forte für die Kleinkunst
Das „Orchester Bürger Kreitmeier“ ist auf „Pelz und Pullunder“-Tour
kabarett.at / 14. November 2004
Frisch geschmückt mit aussagekräftigen Vorschusslorbeeren in Gestalt des Bonner “Prix Pantheon 2004” und des letzte Woche in Bozen verliehenen Publikumspreises des “Europäischen Kleinkunstwettbewerbs” gastiert das Duo “Orchester Bürger Kreitmeier” erstmals in Wien. Und das ist verdammt gut so.
Was Conny Kretmeier und Norbert Bürger im Rahmen ihrer “Pelz und Pullunder”-Show auf der Bühne abziehen, ist nur schwer in Worte zu fassen. Grundsätzlich ist es ein Konzert. Besser vielleicht: die Karikatur eines Rock-Konzerts. Aber musikalisch fröhlich durchsetzt mit osteuropäischem Volksliedgut, feurigen andalusischen Weisen, ohrwurmig balladigen Melodien, Soul, Jazz, Disco, Techno etc. So weit, so vielfältig. In zwei wesentlichen Punkten weicht die Darbietung des “OBK” aber von allen geläufigen Vorstellungen von Musikkabarett ab:
1) Als Instrumente haben Bürger und Kreitmeier – neben der hinreißenden und facettenreichen Stimme letzterer – nur eine E-Gitarre und ein Spielzeug-Keyboard auf der Bühne. Doch sie haben mehrere Mikrofone zur Verfügung, mit der Bürger wahlweise die Beatbox oder einen Sampler live mit Sound-Loops füttert, die über-, hinter- und durcheinander gelegt je nach Bedarf fünfstimmige Background-Choräle, komplette Bläsersätze, präzise Perkussions-Teppiche, furiose Gitarren-Gewitter und weiß der Teufel, was noch alles, ergeben. Heraus kommt dabei jedenfalls eine derartig stimmungs- und druckvolle Musik, dass sie einen schlicht aus den Sitzen hebt. Und für deren herkömmliche Herstellung ein 24-Kanal-Mischpult zu klein wäre.
2) Der Witz der Sache liegt weniger in den Song-Texten oder den knappen Zwischenansagen, sondern in der Art der Darbietung. Und jetzt wird es langsam unbeschreiblich: Conny Kreitmeier gibt die extrovertierte, impulsive Sängerin und leidenschaftliche Sexbombe, die jede Nummer ansatzlos so mitlebt, als sei sie ihre letzte. Oder den gleichen, aus 10 Tönen bestehenden Takt fünf Minuten lang wiederholt. Überwältigend und hochamüsant zugleich. Und doch wandern die Blicke immer wieder wie gebannt auf Norbert Bürger. Selbst dann noch – und das will bitte etwas heißen – wenn sich Kreitmeier ihres Jäckchens entledigt und dem Publikum in hautenger, schwarzlederner Korsage einen multiplen Orgasmus vorhechelt, -stöhnt und -schreit … während Bürger eines seiner Mikrofone zu oralen Praktiken nötigt. Dieser Bürger ist eine Bühnenfigur, wie es sie noch nicht gegeben hat.
Schon rein äußerlich ist er der mit Abstand uncoolste Typ, der sich je eine Gitarre umgehängt hat: mit strähniger, abgeschleckter Frisur und einem unsäglichen grau-grün-gemusterten Pullunder, mit dem er “die Verwegenheit eines Zwergpudels” (Danke, Daniel Glattauer, für die heutige Pullunder-Kolumne im “Rondo”) ausstrahlt. Seine Bewegungen sind so unbeholfen, als werde er von Gicht geplagt, sein Gesicht so verklemmt und verkniffen, als warte er beim Zahnarzt auf das “Der nächste, bitte”. Sein psychopathisches Gehabe pendelt zwischen völliger Teilnahmslosigkeit und zügelloser Triebtäterei. Er ist der devote Sklave seiner Sängerin, die ihm Feuchttraum und Fegefeuer zugleich ist. Seine gelegentlichen Versuche, ihr – und dem Publikum – als lässiger Gitarrero zu imponieren, enden allesamt in peinlichen, deplatzierten Posen. Und während er diesen in jeder Geste grotesken, mimisch aberwitzigen, durch und durch kranken Typ verkörpert, malträtiert er seine Gitarre u.a. mit kleinen Ventilatoren und bedient – scheinbar mehr versehentlich als vorsätzlich – die bereits erwähnten Gerätschaften. Und das – rückblickend betrachtet, weil währenddessen kommt man nicht dazu – mit Ehrfurcht gebietender Virtuosität.
Wir fassen zusammen: Diese laut Untertitel “groteske Rock- und Pop-Show” ist kein Konzert mit komödiantischen Einlagen. Und auch keine mit Musik untermalte Comedy-Show. Sondern eine aus Genie und Wahnsinn, kolossalen Klängen und schräger Komik verwobene, völlig eigenständige kleinkünstlerische Naturgewalt, bei deren Schöpfung Gott gerade ein wenig mit verbotenen Substanzen experimentiert haben dürfte. “We’ve got new friends” singen sie zum Abschluss. Wie wahr. Mögen sie uns bald wieder beehren !
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