Wer zweifelt, detoniert nicht
Dieter Nuhr: „Österreich ist mit seinen vielen Bergen eine lustige Idee vom lieben Gott gewesen: Ach, ich hab noch so viel Land übrig – das falt ich einfach zusammen.“
kabarett.at 05/2008
Ach ja, die Wahrheit. Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Klingt wichtig. Und ist es natürlich auch. Aber nicht nur. Denn für Nuhr erfüllt die Wahrheit auch die Funktion eines mit Tiefsinn und Hintergründigkeit gut gepolsterten, breiten Raums, in dem grundsätzlich jedes Thema Platz hat. Egal wie banal – es ist fortan mit dem Gütesiegel „Wahrheit“ versehen. Und schon ist es mit vermeintlicher Bedeutungsschwere geadelt, ohne dadurch auch nur ein Gramm seiner Leichtigkeit einzubüßen.
Das ist eine der Kleinkünste, die Dieter Nuhr bestens beherrscht : Die Gratwanderung zwischen Quatsch-Comedy und hochgescheiter Satire. Da freut sich das anspruchsvolle Kabarett-Publikum, dass es nie das Gefühl erdulden muss, sich womöglich unter Niveau zu amüsieren. Und das eher zu seichterem Amusement neigende Comedy-Publikum freut sich, dass es so viel Spaß haben kann, obwohl immer wieder Sätze vorkommen, die es nicht versteht. Raffinierte Sache.
Ein wenig so, wie wir es hierzulande von Alfred Dorfer gewohnt sind. Auch Nuhr gefällt sich in der Rolle des intellektuellsten Satirikers seines Landes. Mit berechtigtem Stolz prangt bereits seit Wochen auf seiner Homepage die Schlagzeile, dass er den vom „Verband der Hochbegabten“ verliehenen „IQ-Preis 2008“ bekommt. Gratulation.
Dass Dieter Nuhr zu den geistreich gewitzten und begrüßenswerterweise auch vor Recherchen nicht zurückschreckenden Qualitäts-Kabarettisten zählt, ist seit Jahren bekannt und ward bereits hundertfach beschrieben. Dass an dieser Stelle nicht zu einer abermaligen Wiederholung seiner humoristischen Meriten ausgeholt wird, möge daher nicht als Missachtung fehl interpretiert werden. Nuhr ist gut. Sehr gut. Aber es gibt in seinem aktuellen Programm „Nuhr die Wahrheit“ einige Punkte, die eine detaillierte Betrachtung verdienen, weil sie einen ungewohnten Nuhr zeigen.
Beispielsweise scheut er nicht vor offensiver Ausgrenzung zurück. „Sind heute Nazis im Saal“, fragt er gleich zu Beginn, „Die sollen jetzt mal lieber eine Currywurst essen gehen. Oder irgendwas anderes, was den gleichen IQ hat, wie sie.“ In tief verinnerlichter Verachtung steckt besonders viel Wahrheit.
Apropos: Besondere Aufmerksamkeit schenkt Nuhr der Wahrheit im religiösen Kontext. Gefährlich seien nämlich vor allem jene, die glauben, die Wahrheit gefunden zu haben : die fundamentale, einzige Wahrheit. Das sei der Nährboden für Selbstmordattentäter. Merke : „Wer zweifelt, detoniert nicht.“
Seine aversive Unmissverständlichkeit trifft aber nicht nur Terroristen, sondern gleich jeden, der sich dem Koran verschrieben hat. Als Begründung zitiert er den Kernsatz aus Absatz 5 der 9. Sure: „Tötet die Ungläubigen, wo immer ihr sie findet.“ Das grenze schon an Unhöflichkeit, stellt Nuhr lakonisch fest. So weit, so satirisch. Polemisch – und von einer allzu westlichen Sichtweise geprägt – wird es indes, wenn er die gesamte geistige Schaffenskraft des arabischen Raums auf die Zahl der jährlichen Patentanmeldungen reduziert. Gerade einmal 20 brächten sie zuwege – „und die Hälfte davon sind wahrscheinlich Steinigungsautomaten“. Diese Unhöflichkeit grenzt zumindest an pauschalierte Feindbildpflege, der man auch einen abschüssigen Hang zu Rassismus unterstellen könnte. Natürlich nur, wenn der Urheber nicht der moralisch vermeintlich über jeden Zweifel erhabene Dieter Nuhr wäre. Aber es bleibt eine ärgerliche Provokation um der Provokation willen. Oder eine völlig überflüssige Übertreibung um einer Pointe Willen. Als gäbe es nicht genug schockierende Fakten.
Mit deutlich weniger Ernsthaftigkeit geht er schließlich mit der Bibel ins Gericht. Ab Adam und Eva sei das Buch einfach schlecht recherchiert. Und wenn Gott den Menschen als sein Ebenbild geschaffen habe, sei es zwingend, dass sich auch Gott mit Verdauungsproblemen herumschlagen muss: „Ist das Universum also eventuell gar nicht aus einem erhabenen Schöpfungsakt entstanden?“ Mit solchen Scherzen ist er in Wahrheit schon wieder kaum einen Steinwurf vom Comedy-Mainstream entfernt. Jenem trüben, breiten Strom, an dessen Ufern er auch seine Partnerschafts-Pointen und Shopping-Scherze einsammelt, um sie – Ehrensache – auf Hochglanz poliert oder originell geschliffen in sein Programm einzustreuen.
Mit einem saloppen „Gibt’s Fragen ?“ leitet der laut Veranstalter René Berto „George Clooney des deutschen Kabaretts“ in seiner letzten Zugabe zum interaktiven Teil des Abends über. „Wo gehst du heute noch hin“, meldet sich eine weibliche Stimme aus dem Publikum. Nach vergeblichen Versuchen, das Gesicht zur Stimme zu orten, antwortet Nuhr kokett: „Ich weiß noch nicht. Es blendet so …“
Als er dann auch noch gefragt wird, ob er verheiratet sei, geht die Eitelkeit mit ihm ein wenig durch. Plötzlich verliert er sein geschultes Gespür dafür, was als private Anekdote gerade noch durchgeht, aber auf einer Bühne nichts verloren hat. Zumindest nicht, wenn man so wie Nuhr unumstrittener Sympathieträger sein und bleiben will. Nuhr erzählt von früher, da er als Kunst- und Geschichte-Lehramtsstudent seine erste Probe-Unterrichtsstunde halten sollte. Da er in der Klasse schon als Beiwagerl bekannt gewesen sei, hätten sich alle Schülerinnen mit besonders tief ausgeschnittenen Dekolletés in die erste Reihe gesetzt und ihn betont vornüber gebeugt angehimmelt. Damals habe er beschlossen, nicht Lehrer zu werden: „Weil da war mir klar: früher oder später gerate ich in diesem Beruf mit dem Strafrecht in Konflikt.“ Schlimmstenfalls auch nuhr die Wahrheit.
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