Liebeserklärung mit Spott und Schaufel
„Gefühlsecht“ – Viktor Gernot und Michael Niavarani bitten zu einem “Abend unter Freunden”.
kabarett.at / 4. Februar 2005
Seit ihrer Schauspiel-Schulzeit im seligen “Graumann-Theater” vor 17 Jahren sind Michael Niavarani und Viktor Gernot miteinander befreundet.Viele gemeinsame Projekte auf der Bühne und im Fernsehen pflastern ihre Laufbahn. Ihr erstes gemeinsames Kabarett-Programm provoziere daher die unterschiedlichsten Erwartungshaltungen, vermuten sie. Und diese vermeintlichen Hoffnungen oder Befürchtungen des Publikums dienen ihnen bei ihrem Duo-Debut als Schreckgespenster und Wegweiser im scheinbar höchstens provisorisch zusammengezimmerten thematischen Gefüge von “Gefühlsecht”. Für Musical-Fans gibt es einen bösen Abgesang auf die “Vereinigten Bühnen”, für Freunde der “Kammerspiele” eine aufs Unwesentliche reduzierte Boulevard-Komödie, für Verehrer hehrer Schauspielkunst einen Dialog zwischen Faust und Mephisto, der sich schlussendlich nach Mörbisch verirrt, und zum Mitsingen eine ziemlich kranke Version von “Guantanamera”.
Aber eigentlich wollen sie ja von sich selbst erzählen. Von ihren Ängsten und Nöten als Promis im Alltag und ihren emotionalen Zuständen bei der Bewältigung des Lebens : “Das Leben hat ja an sich keinen Sinn.” – “Deines im Speziellen.” Also öffnen sie bereitwillig ihre jeweiligen Beziehungskisten und präsentieren Partnerschafts-Probleme und unverrückbare Ansichten über Ehe und Familie : “Die Familie ist der Kern der Gesellschaft.” – “Schon, aber spuckt man den Kern nicht immer aus ?” Eine Lawine offenherziger Geständnisse, mit denen sie – wie sie selbst vorwegschicken – eigentlich eher zum Therapeuten, denn auf eine Bühne gehen sollten. Aber Therapeuten sind teuer. “Da erzählen wir es lieber Ihnen – und Sie zahlen.”
So erfährt der Besucher u.a., warum Viktor Gernot Autobahnraststätten hasst, Sport liebt und in Telfs seine Unschuld verloren hat, und dass Michael Niavarani morgens grantig ist, zuhause originalverpackte Bücher hortet und sich beim Onanieren schon mal den Höhepunkt vorgespielt hat. Huch ! Da ist wieder eines von diesen ach so anrüchigen, empörend belustigenden Themen, die sich schon in “Niavaranis Kühlschrank” (sein erstes Soloprogramm) als Heiterkeitsspender bewährt haben. In “Gefühlsecht” übernehmen diesen Part anschauliche Erörterungen von Oralsex-Problemen, Kinder-“Gacksi”, Tampons und Slip-Einlagen. Hintergründiges Politkabarett oder analytische Gesellschaftssatire hat bei dieser dicht pointierten Nabelschau kaum Platz. H.C. Strache ist ein “Vollkoffer” und Albert Fortell ein “verlässlicher Wappler”. Womit zu diesen Themen ja auch alles Notwendige gesagt wäre.
Ohne Scheu vor persönlichen Verletzungen nehmen sie sich selbst und gegenseitig heftig auf die Schaufel. Am schönsten wird dieses Spiel, wenn sie vorsätzlich jene Kunstgattung vorführen, die sie angeblich am wenigsten beherrschen : Gernot trägt ein Mundart-Gedicht vor, in dem es vor verhunzten Redewendungen nur so wimmelt, und Niavarani gibt ein leidvolles französisches Chanson zum Besten. Den effektvollen Höhepunkt dieses spöttischen Treibens liefert Gernot mit einer Parodie des Simpl-Conferenciers Niavarani. Und in einer Szene, die im Jahr 2018 spielt, hält der von Bundeskanzler Pröll zum ORF-Stiftungsrat berufene Viktor Gernot anlässlich der Verleihung der Titel “Kammerl-Schauspieler” und “Professor humoris causa” an seinen etwas heruntegekommenen Weggefährten Michael Niavarani eine launige Laudatio, die er mit der Ankündigung eines gemeinsamen Programms namens “Niavarani und Gernot spielen Schenk und Lohner” beschließt. Allein schon in dieser Kurzfassung steckt jede Menge fast schon bitterer Selbst-Verhöhnung – charakterlicher und darstellerischer Natur.
Vor allem die zweite Hälfte erinnert formal über weite Strecken an eine Jazz-Jam-Session. In ein variantenreich durchkomponiertes Thema weben sich Gernot und Niavarani nahtlos Soli ein, bei denen der jeweils andere nur aus dem Hintergrund pointiert kommentiert oder die Tonart vorgibt – aber in erster Linie amüsiert zuhört. Kaum möchte man dem Solisten die gebührende Anerkennung zollen, hat schon der vormalige Begleiter das Thema aufgegriffen, weitergesponnen und steht selbst im Spot. In einem Punkt weicht dieses Wechselspiel erfreulicherweise von den Gepflogenheiten eines Jazz-Konzerts ab. Dort gehört es ja unbegreiflicherweise zum guten Ton, hemmungslos in die ersten Takte des folgenden Solos hinein zu klatschen. Bei “Gefühlsecht” ist das Publikum viel zu erpicht darauf, nur ja keine Pointe zu versäumen, um mit Zwischenappläusen den Rhythmus zu stören.
Weder Niavarani noch Gernot haben ihre beruflichen Wurzeln in der alternativen Kleinkunst oder im provokativen Kabarett. Beide haben sich von Anfang an im mainstream zuhause gefühlt. Ob als Musical-Darsteller oder als Komödiant. Folgerichtig ist auch ihre erste Bühnen-Koproduktion ein absolut Simpl-Publikums-adäquates, wirkungsvolles mainstream-Produkt. Und das gelingt ihnen ohne jede Spur kompromissverschmierter Selbstverleugnung. Im Gegenteil : Niavarani und Gernot sind zwei ehrliche Entertainer, spontane Rampensäue und authentische Erzkomödianten. Glatt, geschliffen und gut. Und unterm Strich ist „Gefühlsecht“ eigentlich eine Liebeserklärung. Ans Publikum ? Auch. Aber vor Allem eine gegenseitige. (pb)
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