„Schiaß ma die Gedanken aus’n Kopf.”
Der Standard 05/2001
Zuerst nur verunsicherter, verhaltener Applaus. Das furiose Finale steckt noch in den Knochen. Dann ein Anschwellen und Aufbranden und Nicht-Enden-Wollen. Justus Neumann hat sich mit dem Bügeleisen erschlagen. Folgerichtig und unvermeidlich. Fast schon ein natürlicher Tod, aber kein geläutertes Verscheiden in Frieden : Do-it-yourself im hausgebrannten Affekt. Überwältigt von all den Verletzungen und Verwirrungen, die sein Herz ausgeschüttet, Magen und Galle unter Hochdruck überschäumend hervorgestoßen haben. Als habe jemand die gut verschlossenen seelischen Schleusentüren gesprengt, hinter denen sich seit Jahren Unverdautes aufgestaut hat : unausgegorene Bruchstücke aus der Vergangenheit und von keiner höheren Ordnung in Mitleidenschaft gezogene Menschengedanken. Das entblößte Schicksal eines mißtrauischen Außenseiters, der sicherheitshalber seine Finger nachzählt, jedesmal, wenn er jemandem die Hand gegeben hat. Ein zutiefst wienerischer Narr, der an der Welt zerbricht, statt zu lernen, mit ihr zu leben. Das ganz humane Chaos eines verwundbaren Geists, voll unbändiger Wut und Suche nach Trost. Gezeichnet vom ständigen Wechselspiel zwischen Menschenhass und Nächstenliebe : “Hinter jedem Orschloch steckt a Schicksal. Net dass mi jedes interessiert. Na, bei Gott nicht. Mei eigenes reicht ma.”
Mit eindringlicher Physis, aber ohne dass die Kunst der Darstellung jemals zum Selbstzweck würde, erweckt Justus Neumann den “Hanswurst” zum Leben – um ihn sterben zu lassen. Nachhaltig überwältigend, weil weit entfernt von mundgerecht oder kulinarisch. Schmerzhafte Erkenntnisse lauern zwischen den Zeilen von Karl-Ferdinand Kratzls großartig kuriosen, kraftvollen, grauslichen, rührenden und zum Teil abgründig komischen Lebensgeschichten. Solche, vor denen uns unser geistiger Schließmuskel zumeist bewahrt, wenn sich uns auf der nächtlichen Heimfahrt in der U-Bahn ein Redseliger berauscht anvertrauen möchte. Die Weisheit der Anarchie : versponnen und verdichtet zu einem Geflecht aus Wahrheit und Betrug. “Die gute Lüge ist eine lustige Behauptung, als Hetz : Österreich ist frei.” Doch Freedom is just another word … und Jimi Hendrix spielt dazu den heftigen Schwanengesang. He, Tscho : “I geh in die Stadt und schiaß ma die Gedanken ausn Kopf.”
Das Textbuch ist im “Ibera”-Verlag erschienen, das Stück ist noch bis Mitte Mai im “Eisernen Mann” zu erleben. Welttheater im Prater-Wirtshaus. “Kurz vor dem Tod sollte man noch amal lachen. Wenn es sich irgendwie ausgeht.” Karten unter 587 05 04.
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