Sprachverspieler und Wortverdreher
Der Standard 03/1998
Dem Volk nur auf’s Maul zu schauen, war Ludwig Müller von Anfang an zu wenig: er schaut ihm auch auf Buchstaben und Beistrich. Seit drei Jahren macht er sich damit zum heimischen Hüter, Bewahrer und Verfeinerer jenes kabarettistischen Brauchtums, das in Deutschland vornehmlich von Willy Astor gepflegt wird: heftiges Abklopfen hilfloser Namen und Begriffe mit Rhythmen und Reimen, gnadenloses Beugen und Biegen wortwörtlicher Opfer, bis diese ihre verborgenen Zweit- und Dritt-Identitäten preisgeben. Und Otto Normalversprecher staunt nicht schlecht über die abenteuerlichen Kapriolen, die sein Vokabular auf der Bühne vollführt, kaum dass es Müller von der bleiernen Schwerkraft des Satzgefüges befreit hat.
In seinem neuesten Solo „Short Katz“ (Regie: Irene S.) stößt Ludwig Müller aber gerade ob der beeindruckenden Vollendung, mit der er diese artistische Fertigkeit vollführt, auch an die Grenzen des Genres. Das eine oder andere Sprachspiel hat er bereits von derartig entlegenen Abwegen herholen müssen, dass die angesteuerte Pointe im nachbarschaftlichen Gemurmel des erklärungsbedürftigen Publikums absäuft. Was hoffnungsvoll als Sickerwitz beginnt, endet als Versickerwitz: „Des is a Woatwitz, da muss man auf den Witz woatn.“
Auch scheint das grundsätzlich weitläufige Müller’sche Reservoir der verdrehten Floskeln, Accents, Dialekte und Typen über einige besonders beliebte Fischgründe zu verfügen, die er bereits in seinen letzten Programmen mit Netzen von bauartähnlichen Strickmustern erkundet hat.
Doch vermutlich im Bewusstsein dieser gelegentlichen Schwachstellen lässt Müller in „Short Katz“ andere, teils bislang geradezu unvermutete Fähigkeiten aufblitzen. So z.B. die Schauspielerei, die er – als reminiszierender Burg-Mime oder Linzer Fleischermeister – in wohltuend homöo- und sympathischen Dosen verabreicht. Besonders auffällig aber sind jene Kurz-Grotesken, die nicht von ihrer Form, sondern ausschließlich vom Inhalt leben: z.B. über die Erfindung des Hamburgers mittels eines Stiefelabsatzes, der einst versehentlich nacheinander in Semmel, Salat und Fleisch trat.
Und bei aller angebrachter Kritik darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass hier ein Meister seines Faches am Werk ist, der mit seinem weitgehend fadenfreien neuen Programm scheinbar mühelos seinen Fixplatz in der Kabarett-Szene zu unterstreichen vermag.
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