Im Wendekreis der Wende
„Wir haben nicht nur in der Sprache, sondern auch im Denken und Fühlen den Akzent unseres Landes.“
kabarett.at 10/2007
In Wahrheit gibt es ja wirklich immer weniger Gründe, Zeitung zu lesen. Das wird der „Kurier“ nicht gerne hören, aber wozu noch jeden Samstag wegen eines einzigen Kastls 2 Kilogramm Altpapier kaufen, wenn die besten Artikel in überschaubaren Abständen in gebundener Form nachgereicht werden. Und die wirklich ursupersten werden eh ein paar Stunden nach ihrem Erscheinen per e-mail rundgeschickt.
Jetzt liegen also die besten und bösesten Kurier-Kolumnen Thomas Maurers aus den letzten 7 Jahren unter dem Titel „Im Wendekreis der Wende“ vor. Und da der Autor ja auch kein ganz unbekannter Bühnenkünstler ist, lässt er es sich nicht nehmen, eine Auslese daraus persönlich seinem Publikum zum Vortrag zu bringen. „Papiertiger“ ist also gewissermaßen ein Besto-of Best-of. Und damit noch nicht genug. Mit seinen Zwischentexten, Überleitungen und Conferencen verleiht er den satirisch-kritischen und höchst angemessen respektlosen Momentaufnahmen aus der Vergangenheit einen Überbau, der es dem Zuhörer erst ermöglicht, sie in einem Kontext wahrzunehmen, der im Moment des Erscheinens der Kolumne noch lang nicht greifbar war.
Es ist schon erstaunlich, wie viel Jammer und Elend der österreichischen Innenpolitik seit der Wende bereits die Gnade des frühen Vergessens zuteil wurde. Selbst ein sorgfältiger Chronist des parlamentarischen Alltags wie Thomas Maurer passiert es, dass er der wahrscheinlich merkunwürdigsten Ministerin der FPÖ-Riege, namens Sickl an einer Stelle versehentlich den Voramen Theresia statt Elisabeth zuordnet. Das beruhigt ungemein. Ist es doch ein Beleg dafür, dass auch ein Maurer gelegentlich dazu im Stande ist, seine Festplatte von allzu überflüssigen Speicherplatz-Schrott zu befreien.
Wobei Sickl nicht der einzige Name ist, denn man als zwangsläufig verdrängungsfähiges Wesen längst unwiderruflich endgelagert geglaubt hatte. Hilmar Kabas zum Beispiel. Oder Knittelfeld. Auch für die simple Internet-Recherche bezüglich des Selbstverständnisses der meistgelesenen Wochenzeitschrift Österreichs ist Maurer zu danken. „Die ganze Woche“ sieht sich selbst so: „Für Plattheiten haben wir keine Zeit, für Langeweile keine Geduld, denn wir schreiben mit Engagement.“ Ist das nicht schön ? Warum hat uns diese zwingende Kausalkette nicht schon längst zu Abonnenten gemacht. Zumal: „Wir haben nicht nur in der Sprache, sondern auch im Denken und Fühlen den Akzent unseres Landes.“ Das ist in Wahrheit schon Kunst.
In Summe ergibt das alles ein Sittenbild der jüngsten Vergangenheit, das Österreich mehr als verdient hat. Thomas Maurer beherrscht das gesamte Waffenarsenal der politischen und gesellschaftspolitischen Satire mit einer Virtuosität, die hierzulande selten ist. Von lustvoller Polemik und frontaler Feindes-Verhöhnung bis zur geschliffenen Vivisektion und subtilen Demontage. Und wenn es um die Grundrechte des Einzelnen geht, erweist er sich mehr als einmal als klartextliche, moralische Instanz.
Maurer ist ein geistreicher Überzeugungstäter, dem man diesmal durchaus verzeihen kann, dass er es noch immer nicht schafft, sich sein verschmitzt-zufriedenes Grinsen zu verkneifen, wenn sich seine Pointen als zielsichere Wirkungstreffer erweisen.
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