Respekt für ein Arschloch
The world according to a Mühlviertler Gastarbeiter in China: „Wenn dir die Wödgschichte üban Schädl radlt, musst schaun wosd bleibst.“
kabarett.at 03/2009
Um die naheliegendste Frage vorweg abzuhaken : „Àodìlì“ ist die chinesische Bezeichnung für Österreich. Und noch rasch ein Hinweis für Chronisten und Schubladisierer: Ja, „Àodìlì“ ist ein Soloprogramm, auch wenn sich fast das ganze Programm über ein junger, chinesischer Geschäftsmann als Ansprech- und Anspielpartner für Thomas Maurer neben ihm auf der Bühne befindet. Eine nahezu stumme Statistenrolle, die der junge Laiendarsteller Joey Chen tadellos ausfüllt.
Doch nun das Werk selbst. Ort des Geschehens ist ein Warteraum im Departure-Bereich des Flughafens von Peking. Hier sitzt der Gschwandtner Sigi, Techniker und Gastarbeiter in China, aus ihm nicht ganz nachvollziehbaren Gründen fest. Die Behörden verweigern ihm die Ausreise, weil er angeblich schon ausgereist sei. Sigi nimmt’s mit Gelassenheit. Nach jahrelangem Aufenthalt in China kennt der gemütliche Mühlviertler Ex-Pat die Mentalität gut genug, um zu wissen, dass es dortzulande gar nichts bringt, auf Logik und Rechte zu pochen. Nur Geduld.
Als hochgradig gesprächiger Mensch füllt er die Zwangspause nicht nur mit ausgedehnten Telefonaten mit Familienmitgliedern und Arbeitskollegen, er beschwatzt auch unaufhörlich einen chinesischen Sitznachbarn. Und das mit einer Aufdringlichkeit, der wohl nur ein asiatischer Stoiker gewachsen ist. Selbst dessen anfänglich noch höflich vorgetragener Satz „Sorry, no english“ bringt Sigi nicht davon ab, ihn konsequent zuzutexten. Dann eben der Einfachheit halber gleich auf deutsch. Er versteht ja eh nichts: „I am just veroasching you.“
Es ist schließlich der ja immer schon völkerverbindenden Funktion hochprozentiger Getränke zu verdanken, dass die sich langsam doch verschlechternde Laune von Siggis genervtem Gegenüber nicht zu Bilateralschäden führt. Im Gegenteil. Alkohol verbrüdert. Fast bis zum gemeinsamen Singen der oberösterreichischen Landeshymne. Darauf trinken wir noch einen. Gambei!
Aristoteles, der alte Komiker, hätte seine Freude an diesem gelungenen Kleinkunst-Kammerspiel: So sauber hat sich erst selten ein Kabarettist an die Einheit von Raum, Zeit und Handlung gehalten. Und in diesen von Regisseurin Petra Dobetsberger gut geschlossenen, dramaturgisch überzeugend gezimmerten und für ein Kabarettprogramm durchaus originellen Rahmen packt Maurer dann kurzerhand ein ganzes Weltbild. Überdies in einem – laut einhelliger Aussage einiger oberösterreichischer native-speaker – sehr glaubwürdigen Mühlviertler Idiom. Um es kurz zu machen: „Àodìlì“ ist Maurers stimmigstes Programm bisher. Punktum.
Ungeteilte Hochachtung gebührt natürlich vor allem seinem rund 100-minütigen Monolog. So amüsant und gleichzeitig so gescheit, so plauderleicht und flüssig und dabei hintergründig und entlarvend. Dicht pointiert – und immer am Punkt. Wie gesagt : die Welt aus der Sicht eines Mühlviertlers. Kein Böser. Im Gegenteil. Grundsätzlich ein gelassener Menschenfreund. Offen und neugierig. Und mitteilsam. Sehr mitteilsam!
Es ist das ständige assoziative Wechselspiel zwischen seinen Ferngesprächen mit der Heimat, seinen Erzählungen und Anekdoten über China, seinen Erfahrungen als kleines Rädchen in der Weltwirtschaft und seinen Einschätzungen der Situation in China und im Mühlviertel, das sich zu einem aktuellen Sittenbild in Zeiten der Finanzkrise summiert. Und somit die Wurzeln des menschheitlichen Übels freilegt. Denn die liegen in der menschlichen Natur.
Es sind die Charakterschwächen des Einzelnen, die großen und kleinen Egoismen, alltäglichen Opportunismen und latenten Korrumpierbarkeiten, die sich zu fast jeder globalen Krise hochrechnen lassen. Ein Prinzip, das Mauer mit der Figur der harmlosen, ja fast sympathischen Plaudertasche Sigi Gschwandtner vortrefflich veranschaulicht. „Die san net so, weils Chinesen san“, erkennt selbst Gschwandtner, „ die san so, weils Leit san !“
Es ist ja so: Dank der Globalisierung kann die privilegierte Klasse der Nutznießer ihre Gier jetzt weltweit austoben. Skrupellose Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf Verluste anderer.
„A so a Oaschloch ! … Respekt.“ Welch bezeichnende Kombination aus Beleidigung und Anerkennung – in Zeiten, in denen Berechnung und Bereicherung zu durchaus gesellschaftsfähigen Hobbys avanciert sind. Im ganz großen Stil – und im kleinen Geschäft : Wenn Sigi einen Container voll USB-Sticks günstig nach Europa exportieren kann, um mit dem Gewinn seiner Familie ein schönes Heim zu bauen, muss es ihm egal sein, dass die Ware in Straflagern produziert wurde. Um das Thema Menschenrechte anzusprechen, reicht sein Englisch nun wirklich nicht aus. Dass China quecksilberverseuchte Schnuller exportiert, ist ihm weit weniger wichtig, als das Verwandtschaftsverhältnis des Mühlviertler Bürgermeisters mit dem örtlichen Bauhof-Leiter. Und Umweltkatastrophen interessieren ihn nur dann, wenn sie unmittelbaren Einfluss auf den Preis des Schotters haben, mit dem er seinen Zufahrtsweg befestigen will. Der gewissenlos geratene Geist des Biedermeier als global player. Weit haben wir es gebracht.
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