Kneipp-Kabarett in 3D
Mit ihrem zweiten Soloprogramm untermauert Nadja Maleh ihren Ruf als komischste Frau Österreichs. „Radio-Aktiv” ist eine saukomische Typenparade mit intelligenter Tiefenschärfe.
kabarett.at 02/2010
Nadja Maleh hat einen Kopf voller skurriler Untermieter. Damit nicht genug: die haben auch noch alle ständig die Klappe offen. „Ich bin viele“, diagnostiziert sie kurz und bündig ihre latente Schizophrenie, „und die wollen alle raus !“ Und nachdem sich die ungebetenen Gäste unmöglich totschweigen lassen, bietet Maleh ihnen die Bühne. Eine nach der anderen darf sich im Rampenlicht präsentieren.
Wie schon in ihrem ersten Solo „Flugangsthasen“ (2007), in dem sie ihre vergnügliche Figurenparade an einem roten Faden über eine Airline mit langzeit-arbeitslosen On-Board-Entertainerinnen auffädelte, ergibt dieses flotte Kopf-Stimmen-Zapping in „Radio-Aktiv“ einen kurzweilig-komischen Comedy-Kabarett-Abend, wie er nur selten auf den heimischen Kleinkunstbühnen zu erleben ist. Dass sie dort somit die mit gehörigem Abstand unterhaltsamste Frau Österreichs ist, muss nicht mehr eigens erwähnt werden.
Sehr wohl aber, dass es keineswegs eine wahllose Aneinanderreihung unterhaltungstechnisch funktioneller Charaktere und Karikaturen ist, die Maleh mit ihrer fröhlichen, darstellerischen Intensität abspult. Auch und gerade deshalb nämlich, weil das Programm gelegentlich genau diese spontane Leichtigkeit vermittelt, ist es eben gerade kein beliebiges Baukastensystem der schrillen oder bescheuerten Typen.
Und das verdankt sie gewiss nicht zuletzt auch ihrer verlässlichen, versierten Regisseurin Marion Dimali. Denn so plakativ überdreht und klischeehaft die meisten Figuren auch daherkommen, in Summe ergeben sie ein schillerndes, abwechslungsreiches und plastisches Bild unserer an vielen Ecken und Enden gleichermaßen grenzwertig überdrehten Gesellschaft. Natürlich ist auch die Reihenfolge ihres Auftretens ist kein Zufall: denn sie sorgt für treffsichere, überraschende Stimmungs-Wechselbäder. Maleh und Dimali besorgen es dem Publikum kalt-warm. Kneipp-Kabarett in 3D.
Als Puffer zwischen den schrillen Typen fungieren zu diesem Zweck die Conferenceuse des Abends – eine verruchte, betont langsam und abgeklärt absonderliche Philosophien absondernde Vamp-Lady („Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie als Kind ‚Das kleine Ich bin Nichts‘ gelesen hätten ?“) – und diverse lustige Lieder. Denn Maleh kann nicht nur komisch, sie verfügt auch über eine facettenreiche, faszinierende Gesangsstimme. Und, nicht zu vergessen, die Fähigkeit gewitzt zu texten.
Denn bei allem vordergründigen, schauspielerischen Klamauk und eine Vielzahl herrlich alberner Wuchteln sind es ihre auf intelligentem Humor basierenden Monologe, die dem ansonsten wohl als Comedy zu charakterisierenden Abend eine kabarettistische Tiefenschärfe verleihen. Wenn die lispelnde Kindergärtnerin Melanie ihre Ängste vor Außerirdischen ausbreitet, die ihr den Job wegnehmen könnten, „weil sie ja viel mehr Hände haben“, führt Maleh damit jegliche Xenophobie ad absurdum. Und mit der dümmlichen Gedankenexperimentalistin Jasmin zieht sie der Esoterik den doppelten Boden unter den Füßen weg.
Weiters im Angebot der Maleh’schen Kopfgeburten : die rassige Russin Olga mit dem fesselnden Beruf Domina; die bereits bestens bewährte sächsische Möchtegern-Entertainerin Ramona Krummelanke; die Wissenschaftlerin und Meisterin der monotonen, syntaktischen Endlosschleifen Frau Prof. Huber. Eine gackernde chinesische Masseuse. Oder die indische Lebensweisheiten verbreitende Mandala: „It is better to lose a lover, than to love a loser.”
Sagen wir so: Wenn derartig persönlichkeitsgespaltene Geistesgestörtheiten mehrheitlich so erquickliche Folgen für die Unterhaltungsbranche hätten, wie in „Radio-Aktiv“, hätten die Welt und die Krankenkassen einige Probleme weniger. Und Nadja Maleh hätte vermutlich Konkurrenz. Davon ist derzeit weit und breit nichts zu sehen.
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