Pumpgun statt Dienstmann
Grotesk und geistreich: Von Nazi-Witwen und Nebelhörnern
kabarett.at 02/2007
Lendl zieht um. Die alte Wohnung war bäh, die neue wird bestimmt total hui. Kein 60er-Jahre-Neubau („Innen früher Resopal und außen Ceausescu-Barock.“), sondern ganz im Gegenteil: gediegener Altbau – mit zugigen Fenstern und knarrendem Parkett. Hauptsache kinderfreundlich. Lendl ist nämlich neugeborener Vater. Und Sohn Raphael ist im Nebenberuf Nebelhorn. Da kann es schon mal vorkommen, dass sich die Heavy-Metal-Band im Probenkeller gestört fühlt. Also gilt es, die neue Nachbarschaft prophylaktisch zu kalmieren.
Sein Streifzug durch die hauseigene Parteienlandschaft wird von Tür zu Tür immer mehr zu einem mit zahlreichen unverhofften Begegnungen gespickten Abenteuer-Ausflug: Die zuvorkommende Hofratswitwe entpuppt sich als schwer neurotische Nazi-Seniorin, der ehrenwerte Dr. Seidenberg als Paranoiker der unberechenbarsten Sorte und das vermeintlich notgeile Flittchen mit stündlich wechselndem Herrenbesuch als fleißige Nachhilfe-Lehrerin.
Das ehrenwerte, alte Haus beherbergt eine groteske Mischung merkwürdiger Mitmenschen, die allesamt von Lendl exakt karikiert und mit beeindruckender Intensität verkörpert werden. Eingeflochten in die wie immer mit bemerkenswerter Körper- und Gesichts-Komik angereicherte Präsentation dieser originell gezeichneten Figuren hat er u.a. seine frischen Erfahrungen mit der Aufzucht und Hege von Kleinkindern – und mit übervorsichtigen Elternteilen, die auch Zwergpudel im Park sicherheitshalber zuerst erschießen, bevor sie ihre Kinder sie streicheln lassen. Seinem Sohn stellt er dafür eine tröstliche Entwicklung in Aussicht: Im „RTL-Dschungelcamp“ der Zukunft müssen keine Promis mehr grausliche Tiere essen – sondern die Tiere grausliche Promis.
Als leidenschaftlicher Film-Fan hat er auch noch andere Ausflüge in die Welt der Fernseh- und Kino-Unterhaltung eingeplant. Diesmal verirren sich Theo Lingens und Hans Moser in ein Splatter-Movie – aus „Hallo, Dienstmann“ wird „Hallo, Pumpgun“ – und die Helden des Horror-Genres in diverse Heimatfilme. Graf Dracula in der Steiermark und Frankenstein in der Großfeldsiedlung bieten unvergesslich amüsante Erlebnisse.
Als MacGuffin und Pausen-Cliffhanger – um im Film-Jargon zu bleiben – dient Lendl einmal mehr ein verbotener, unheimlicher Raum. Diesmal ist es die Wohnung Nr. 6 im 3. Stock, vor deren Betreten er schon im Mietvertrag für seine Wohnung ausdrücklich gewarnt wird. Und obwohl das vermeintliche Grauen, das sie birgt, nur ganz beiläufig und betont unpointiert erwähnt wird, gelingt es Lendl damit, in seine etwas oberflächlich daherkommenden Handlung eine zweite Ebene einzuziehen, die keine weiteren Erläuterungen bedarf, um ihre epische Dramatik zwischen den Zeilen zu entfalten. Ein präziser Kunstgriff, mit dem es ihm nebenbei auch noch gelingt, eine kleine, private Botschaft zu vermitteln.
Es wäre unfair, sich von dem stilistischen Ausnahme-Komiker O. Lendl in seinem bereits achten Soloprogramm (Regie: Wolfgang Müllner) plötzlich eine sensationelle Weiterentwicklung zu erwarten. Lendl bietet dafür seit Jahren konstante Qualität. Mit „Auf gute Nachbarschaft“ ist ihm aber vor allem dank etlicher kurioser Einfälle, geistreicher Pointen und der überraschenden Hintergründigkeit wieder ein besonders bemerkenswertes Kleinkunststück gelungen.
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