Tag und Nacht in der Bar der Drachen
Der Standard 05/1998
Wem sich die Relativität des Zeitverstreichs bislang noch nicht vollinhaltlich vermitteln wollte, dem sei ein nächtlicher Lehrausgang in das Theater in der Drachengasse dringend an Mark und Bein gelegt: und zwar zu den beiden unverwechselbaren Comedy-Nightline-Acts, die dort freitags und samstags für spätabendliches Entertainment zu sorgen trachten. Und ab jetzt heißt es, streng zu differenzieren: Denn der eine heißt Stefan Kreiss, nennt sich „der legendäre Lustige“ und seine Magic-Comedy-Show „Hilfe, ich bin unsterblich“ (Sa), der andere hingegen heißt Hubert Wolf, bezeichnet sich als „erster pragmatisierter Alleinunterhalter“ und sein Music-Comedy-Programm als „Mitleids-Tour“ (fr).
Mitleid allerdings erweckt nur ersterer, dessen vermutlich vorsätzlich hilflose Bemühungen, mit langatmigen Dilettantismen, platten Helge-Schneider-Abkupferungen, unkoordinierten Peinlichkeiten und einer regelrechten Requisiten-Orgie der „Tyrannei des guten Geschmacks“ entgegenzuwirken, nach Überschreiten einer 10-minütigen Schmerz-Toleranz-Grenze ausschließlich dazu geeignet ist, rapide Alterung und wahrhaftige Wut zu zeitigen. Immerhin. Amüsant ist es allerdings höchstens in der Theorie, das allumfassende Scheitern zum Prinzip zu erheben und zu zelebrieren. In der Praxis werden dadurch selbst Fans von „Hardcore-Trash“ auf harte Proben gestellt: „Sie waren ein sehr tapferes Publikum !“ Was heißt!
Ein durchaus delikater Zeitvertreib sind hingegen die Songs des Hubert Wolf. Und das we-niger ob ihrer weniger originellen – vom Begleit-Gitarristen Bruno Reininger mit bekömmlicher instrumentaler Zurückhaltung und mimischem Enthusiasmus angestimmten – musikalischen Wurzeln zwischen Liedermacher-Blues und Vienna Slow Rap, sondern vor allem ob ihrer Texte: unaufdringliche, aber scharfsinnig pointierte Befindlichkeits-Bestandsaufnahmen Wiener Zeitgenossen der ultra-lässigen oder der genüsslich in Gram und Grant badenden Gattung, mit Ziel & Maß parodierte american country- und irish folk-tunes, ein wortverspieltes, dezent-schlüpfriges Vögel-Lied und die vertonte Fegefeuer-Vision „Reinkarniert in St. Pölten“. Überdies überzeugt Hubert Wolf auch als Interpret – mit Charakter und Anflügen von Charisma. Höchstens seine Zwischentexte kommen etwas künstlich daher, aber sie sind kurz – und beinhalten u.a. ein von der Kollegenschaft im Premieren-Publikum heftig akklamiertes Dankgebet aller freien Schauspieler an ihren spendablen Schutzheiligen „Kommissar Rex“. Und siehe, wie im Flug vergeht die Zeit.
0 comments on Tag und Nacht in der Bar der Drachen