Eine gewisse grundstörrische Haltung
Der Standard 11/2000
Herr Kreisler, dass die Uraufführung Ihrer ersten Oper in Wien stattfindet, kommt unvermutet …
K : Ja, für mich auch. Ich bin ja wenig in Wien. Das liegt aber nicht an mir. Das liegt daran, dass ich wenig aus Wien höre, wenig Angebote bekomme. Und wenn, dann werden sie hintertrieben. Es gibt vier, fünf Leute hier, die an wesentlichen Stellen sitzen, die mich nicht hier haben wollen. Was mich weiter nicht stört, weil ich habe eh genug zu tun. Aber man legt mir das halt oft so aus, dass ich etwas gegen Wien hätte. Das ist Unsinn. Ich habe einfach keinen Grund herzukommen. Ich habe zum Beispiel auch keinen Grund, nach Paderborn zu fahren. Aber ich habe deswegen nichts gegen Paderborn.
R : Paderborn hat auch seine Stärken …
Was denken Sie sich, wenn Sie das hören, Herr Ringsgwandl? Typisch Wien? Oder gibt es diese Geschichten überall ?
R : Wien ist schon ein Schlangennest, schon klar. Rein phänotypisch für den Reisenden aus der Provinz kann das ein schwieriges Pflaster sein. Aber man muss aufpassen, dass hier nicht ein grobes Vorurteil um die Ecke schleicht. Alle großen Städte sind schwierig.
K : Intrigen gibt es überall. Nur in Wien ist man dabei freundlich.
R : Berlin ist bestimmt kein einfacheres Pflaster.
K : Nein, aber die Berliner sind nicht freundlich.
R : Die sind sogar primär unfreundlich.
K : Ja, da weiß man, was man hat.
Und dass Ihre jeweiligen Premieren jetzt ausgerechnet in eine Zeit fallen, in der andere Künstler ihre Stücke in Österreich nicht mehr aufführen lassen … ?
K : Die Zeit zum Davonlaufen ist noch nicht – noch nicht, sage ich bewußt – gekommen. Und solange die Zeit noch nicht da ist, soll man nicht boykottieren. Im Gegenteil, da soll man sagen was Sache ist, solange es noch geht.
R : Dem kann man sich nur anschließen. Ich finde das etwas hysterisch und etwas nervös und konfus und affig, dieses Boykott-Getue. Wir wissen ja, von welchem historischen Erbe wir sprechen. Und gerade angesichts dessen finde ich solche modischen Zicken lächerlich. Es gibt den Zeitpunkt, da muss man ganz schnell verschwinden, aber wegen ein paar so damischen Schwadronierern, die jetzt ein paar Prozent Stimmen bekommen haben, deswegen seine Stücke hier nicht mehr aufführen zu lassen, das finde ich ausgesprochen … wie soll ich sagen … verschissen, zum Beispiel.
Kommt dem Kabarett in dieser Hinsicht eine besondere Aufgabe zu ?
K : Man hat in den 60er und 70er Jahren gesagt : Ein systemimmanentes Kabarett ist kein Kabarett. Kabarett muss meiner Meinung nach immer anarchistisches Kabarett sein. Solange es irgendwie einer Partei das Wort redet, ist es nichts. Ganz generell, nicht nur im Kabarett, finde ich, dass einer, der schreibt, komponiert oder malt, außerhalb der Tagespolitik stehen muss.
Ist ihre Oper anarchistisch ?
K : Ja, bis zu einem gewissen Grad schon. Sie heißt schließlich “Aufstand der Schmetterlinge” und das ist ein Synonym für den Aufstand der Machtlosen.
“Die Tankstelle der Verdammten” bezeichnen Sie als “lausige Operette”, Herr Ringsgwandl …
R : Ja, ich habe das halt so genannt, weil bei Musical müssen alle kotzen, weil sie an “Miss Saigon” oder an “Das Phantom der Oper” denken, oder an irgendsoeinen Quatsch. Sagt man “Rock-Oper” muss man auch speiben, weil es ja wirklich gruselige Sachen gibt in der Richtung. Da ist man also auch nicht gerne zuhause. Dann nennt es der eine ein “Rustical”, ein anderer ein “Mystical” oder ein “Grusical”. Da wird halt dann so herumexperimentiert mit Namen. Aber letzten Endes ist es mir völlig wurscht, wie sie es nennen. Hauptsache, sie spielen es.
K : Man sollte einmal ein “Aufhörical” schreiben.
R : Ja. (lacht)
K : Hauptsache, die Leute lachen.
R : Ein paar Mal sollen sie schon lachen. Nicht dauernd, aber ein paar Mal.
Wird das Publikum bei Ihrem Stück viel lachen ?
R : Keine Ahnung. Das Prinzip ist ja, dass die Leute zuerst lang gequält werden und dann kommt eine Stelle, an der sie lachen dürfen. Und dann werden sie wieder gequält.
Haben Sie schon etwas vom Herrn Ringsgwandl gehört oder gesehen, Herr Kreisler ?
K : Natürlich, aber wir haben uns erst jetzt hier kennengelernt.
R : Wir haben uns einmal beim “Salzburger Stier” gesehen vor ein paar Jahren.
K : Ah ja?
R : Da haben Sie so eine kleine Vorführung gemacht.
K : Ach, Salzburg vergesse ich so leicht.
Herr Kreisler, eine Ehrenpreis für Ihr kabarettistisches Wirken – z.B. den “Deutschen Kleinkunstpreis” – würden Sie nicht entgegennehmen. Warum nicht ?
K : Ich nehme überhaupt keine Preise entgegen. Das hat vielerlei Gründe. Preise kann man aufstrebenden Künstlern geben. Für meine Karriere bedeutet ein Preis nichts – nichts mehr. Ich fühle mich einfach durch so etwas nicht geehrt. Ich bin jetzt einfach alt genug, um zu sagen, dass ich mit so etwas nichts mehr zu tun haben möchte.
R : Das ist ein legitimer Standpunkt natürlich, auf der anderen Seite …
K : Habe ich jetzt etwas gegen Sie gesagt ?
R : Nein, überhaupt nicht. Ich nehme jeden Preis.
K : Ach so.
R : Aber ich muss sagen, ich würde mich über so etwas auch freuen. Wenn ich das höre, dann weiß ich doch, dass es irgendwo eine Gruppe von Leuten gibt, die sich mit dem Kabarett auseinandersetzen und die Ihr wirken so wichtig finden, dass sie dieser lärmenden, profanen Gegenwart einfach einen Akzent entgegensetzen wollen. Dass man sagt : Dieser Mann hat in seinem Leben viele wichtige und über die Jahre hinweg noch immer anhörbare Sachen geschrieben. Und deswegen kriegt er einen Preis. In diesem ewigen Rauschen des Blätterwaldes höre ich diesen Akzent gerne. Die Wahrheit ist ja, dass wenn der Zlatko einmal einen Schaß lässt im Fernsehen, dann schauen sofort 8 Millionen zu und die Zeitungen schreiben fünf Tage lang darüber. Ich kann ein Jahr lang an einem Stück arbeiten und das wird dann im Feuilleton auf Seite Fünf in einer Spalte abgehandelt. Deswegen bin ich über jede Aufmerksamkeit froh, die die Medien einer etwas ernster gemeinteren, substantielleren Kulturleistung zollen.
K : Nein, dieser Meinung schließe ich mich nicht an. Ich bin ja auch ganz anders zum Kabarett gekommen, als Sie. Sie haben ja bereits einen Beruf gehabt und wollten dann Kabarett machen. Stattdessen. Stimmt das so ?
R : Ja, so ungefähr.
K : Ich bin zum Kabarett gekommen eigentlich aus Geldnot. Denn das einzige, was ich konnte, war, ein Lied zu schreiben und es zu singen. Damit habe ich mein Geld verdient. Das war in Amerika so und das war auch in Wien so. Das ist für mich ein wesentlicher Faktor : Nachdem man mich jahrelang gezwungen hat, Kabarettist zu sein, möchte ich dafür jetzt keinen Preis haben.
R : Ich orte da eine gewisse grundstörrische Haltung.
K : Das ist halt so: Ich habe den Beruf aus Not ergriffen. Ich wäre viel lieber Komponist oder Dirigent geworden. Ich hätte auch gerne für das Theater gearbeitet : als Autor oder Regisseur. Ich wäre gerne an ein Theater gebunden gewesen. Aber es hat mich kein Theater genommen.
R : Also, ich habe die letzten Jahre an Theatern verbracht – und mein Entschluss, dort nicht mehr arbeiten zu wollen, ist ein bewußter.
K : Ja, das kann ich schon verstehen, aber ich habe ja nie die Gelegenheit gehabt, mich gegen das Theater zu entscheiden.
R : Zu sagen, ich bin Intendant von einem Theater, klingt natürlich glänzend. Nur, die Wirklichkeit ist eine jämmerliche. Was ich bewundere ist, dass es Intendanten schaffen, nach außen ein Bild des Glanzes in die Öffentlichkeit zu tragen, obwohl sich die interne Wirklichkeit nur marginal von der eines Finanzamtes oder einer Müllbehörde unterscheidet. Das ist nicht meine Welt. Dazu ist mir meine Zeit zu schade.
K : Ja, Sie schätzen die Freiheit des Kabaretts – und ich schätze nicht die Unfreiheit des Kabaretts. Das ist der Unterschied. Für mich war das Kabarett keine freie Entscheidung, sondern das Ergebnis einer Notlage. Ich war zu keinem anderen Beruf im Stande. Ich hätte in Amerika, als ich Hunger hatte, gerne eine Stelle als Strassenkehrer oder Tellerwäscher angenommen, habe aber keine bekommen. Ich hätte auch nie, so wie Sie, Mediziner werden können. Aus Unvermögen.
R : Wir sind jetzt bei der philosophischen Grundsatzfrage angelangt, ob der Mensch eine Entscheidungsfreiheit hat oder nicht. An dem Punkt sind wir jetzt. Und ich glaube, dieses Thema schultern wir heute nicht mehr. Es wird schon dunkel draußen.
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