Logik bringt ja nichts
„Da freu ich mich immer. Grundlos, aber von Herzen.“
kabarett.at 11/2007
Um an die 50-Millionen-Euro-Erbschaft eines reichen Onkels aus Australien zu gelangen, muss Kratzl heiraten. Und weil sich gerade kein Partner aufdrängt, beschließt er, sich selbst zu ehelichen. So knapp und übersichtlich hat sich bisher erst selten ein Programm des unverändert erfrischend eigentümlichen Kleinkünstlers Karl-Ferdinand Kratzl zusammenfassen lassen. Und selbstredend wird diese inhaltliche Kurzversion dem im Verlauf des Programms „Mein ist mein ganzes Herz“ Gebotenen in keiner Weise gerecht. Nicht umsonst wird Kratzl von seinen Fans als Hohepriester des unvorhersehbaren Assoziierens, der absurd anmutenden Abschweifung und der kuriosen Groteske verehrt. Und das ganze mit so viel Herz und Humor, dass sich beim Betrachter Staunen und Lachen unweigerlich zu einem glückseligen Geisteszustand konglomerieren.
Kratzl erfüllt damit die klassische Funktion des Clowns. Und das im bestmöglichen Sinne. Seine Komik entsteht im Spannungsfeld zwischen seinen immer wieder listig aufblitzenden Augen und seiner mürrischen Mimik, zwischen seiner rastlosen Leichtfüßigkeit und seinem schwerfälligen Schlurfen, zwischen Träsch und Tragödie. Mit beeindruckender Souveränität führt Kratzl durch einen Abend, der so aberwitzig und anspruchsvoll und amüsant ist, wie ein Abenteuerspielplatz, dem kurzerhand die Schwerkraft abhanden gekommen ist.
Zur Illustration der verblüffenden Vielfalt, die Kratzl in ein Programm zu packen im Stande ist, folgt nun eine unordentliche Aufzählung einiger im Verlauf des Abends abgehandelter und angeschnittener Themen: Ein Meerschweinchen namens Fritzi Haberlandt. Eine Sudoku-Lesung. Mister Känguru. Eine Fingerhutsammlung. Ein freikirchlicher Pastoral-Satanist. Ein Milgram-Experiment. Ein Forellengott. Eine Spionin. Der Verein der Im-Kreis-Geher. Aber der Wagen, der rollt. „Die Logik wollen wir aufheben“, beschließt er zwischendurch, „weil sie bringt ja nichts.“
Klingt nach skurriler Komik – und das ist es auch. Aber noch viel mehr. Weil Kratzl ist ja keineswegs nur der liebenswerte Spinner, als der er vordergründig gesehen werden könnte, sondern auch ein geheimnisvoller Poet und gescheiter Philosoph. Einer der ganz wenigen, ganz großen Kleinkünstler dieses Landes. Um alles zu lesen, was zwischen seinen Zeilen steht, fehlt aber zumeist die Zeit. Gedankliche Verschnaufpausen gönnt er den Aufmerksamen nur wenige.
Überhaupt ist es ein ganz eigenes, kabarett-untypisches Publikum, das Kratzl in seine Programme zu locken vermag. Das zeigte sich bei der Premiere auch am Handy-Verhalten. Nach dem ersten Klingelton, den Kratzl mit einem spontanen „Hotel Meranerhof, Portier“ parierte, hob in der zweiten Reihe ein unüberhörbares Geplauder darüber an, wie man ein Handy auf lautlos schalten könne. Es ist zu hoffen, dass diese Menschen zum ersten Mal seit Erfindung der drahtlosen Telekommunikation ein Theater besucht haben. Dass sie bei ihrem kläglichen Kampf mit der modernen Technik den Kürzeren gezogen hatten, war schon kurze Zeit später unüberhörbar. Kratzl lässt sich durch derartig respektlose Störungen aber kaum noch aus der Ruhe bringen. Der forschen Entschuldigung „Ich weiß nicht, wie man das Ding abschaltet“, begegnete er mit einer von verhaltener Wut kaum spürbar durchsetzten Höflichkeit: „Gnädige Frau, ich hätte zu diesem Behufe hinten in meiner Garderobe ein WC …“
Die fürs kabarettistische Rollenspiel unvermeidlichen Kapperln, von denen er drei extra mitgebracht und dem Publikum zu Beginn präsentiert hat, kommen während des Stücks natürlich nicht zum Einsatz. Erst zum Abschluss setzt er sich alle drei auf einmal auf. Kabarettismus, ade. Und der große schwarze Müllsack, den er eingangs mit den Worten „Falls im Lauf des Abends Müll abfällt …“ bereitgestellt hatte, erweist sich nach 2 Stunden als jungfräulich unberührt. Fazit: „Entweder, es war kein Müll dabei – oder, der Abend hat gar nicht stattgefunden.“
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