Kabarett für Menschen, die nicht ins Kabarett gehen
Der Standard 02/2000
“Die Liebe zur Wahrhaftigkeit muß uns einiges wert sein”, sagt Karl-Ferdinand Kratzl, nachdem er mit Hilfe des Schönbrunner Gazellengeheges, der Feuerwehr und eines Senegalesen das Palindrom über den Neger mit Gazelle, der im Regen nie zagt, eindrucksvoll widerlegt hat. “Die Liebe zur Wahrhaftigkeit …” – sie ist es, die Kratzls Programme zu jenen seltsam anrührenden, persönlichen Offenbarungen macht, mit denen er seit über zehn Jahren die heimische Kleinkunst beglückt. Mit seinem abwechslungsreichen Best-of “Gefundenes Fressen” (bis Samstag im Wiener “Spektakel”) belegt er diese seine einzigartige Qualität einmal mehr. Daß er überdies über eine verblüffende schauspielerische Wandlungsfähigkeit und ein unerschöpfliches Reservoir merkwürdiger und reizvoller szenischer Ideen verfügt, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Zumindest bei dem viel zu kleinen Kreis seiner treuen Anhänger.
Er hatte schon ganz recht, als er es sich zu Beginn seine Solo-Tätigkeit ausdrücklich verbat, mit der irreführenden Bezeichnung “Kabarettist” in Verbindung gebracht zu werden. Denn bei Kratzl hört man zu keinem Zeitpunkt jenes lautstarke Knattern des Banners der guten Laune, bei dem einem nach anregender und erstaunlicher Unterhaltung suchendem Publikum zuerst das Lachen und irgendwann Hören und Sehen vergeht. “Ich stehe auf der Bühne für Menschen, die mit den herkömmlichen Unterhaltungsformen nicht zufrieden sind. Das müßte doch eigentlich ein ganz schönes Häufchen sein … ?” Zweifellos, die Crux dabei ist nur, daß dieses Häufchen gerade wegen seiner Unzufriedenheit nicht auf die Idee käme, ausgerechnet ins Kabarett zu gehen. Und infolgedessen genau das versäumt, was es womöglich sucht : literarisch-poetische, feinfühlige Menschlichkeitsminiaturen, schwarzhumorige und tragikomische Dramolette, kuriose und rührende Realsatiren. Über durchsichtige Teddybären, unersättliche Frauen-Augen-Vampire, öffentliche Suizid-Automaten mit Bedenkzeit, oder Brechts in Spiritus konservierten Zeigefinger im heiligen Schrein der Dramaturgie – untergebracht im realen “Deutschen Kabarett-Archiv” in Mainz. Nein, mit Zeigefingern will Kratzl nichts zu tun haben, denn “nimmt man eine Heckenschere und schneidet den erhobenen Zeigefinger ab, kommt die Wahrheit ans Licht : es bleibt eine Faust übrig !”
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