Drachentöter & Deutschlehrer: Ruhestörung für gehobene Ansprüche
Um Sebastian Krämer live zu erleben, muss man ganz schön weit fahren – aber es lohnt sich.
kabarett.at 09/2008
Vor der Brust trägt er etwas Grünes, ziemlich Schreiendes. Irgendwas zwischen Krawatte und grober Torheit. Aber ansonsten – ganz der klassisch-adrette Klavier-Kabarettist. Und Sebastian Krämer ist einer der Herausragendsten dieses Genres. Weil er nämlich nur klassisch-adrett wirkt. In Wahrheit ist er eine temperamentvolle, zwischen abgründiger Tücke, hämischer Ironie, blankem Wahnwitz und hingebungsvollem Sentiment sichere Stimm- und Stimmungswechsel vollführende Überraschungstüte.
Der gute Mann ist noch keine 33, hat aber bereits bald 17 Jahre Kabarett-Erfahrung. Krämer schrieb nämlich schon während seiner Schulzeit Chansons, an deren Klasse sich auch heute noch arrivierte Liedermacher messen können. Sein Werk umfasst inzwischen wohl an die 200 Lieder. Darunter etliche Perlen für die Ewigkeit. Und das ist nicht nur so dahingesagt. Das ist so. Wer „Kein Liebeslied“ oder „Jongleure“ kennt, wird zustimmen. Außerdem war er schon zwei Mal Deutscher Meister in der Disziplin „Slam Poetry“. Weiß der Teufel, warum er noch nie in Wien gastiert hat.
Gut, der große Showman ist er vielleicht nicht gerade. Dafür ein Meister des demonstrativen Understatements und der hinterhältigen Zwischentöne. Denn die lauern in seinen Texten allerortens. So viele fein gefeilte, starke Texte – in so kurzer Zeit. In Ehrfurcht erstarren möchte man da bisweilen. Geht aber nicht, weil er ist schon wieder fünf Zeilen weiter. Mit dem, was Krämer bisweilen in nur drei Minuten an geschliffenen Kaskaden hervorsprudelt, füllen Kollegen ganze Programmhälften. Es lohnt sich, gelegentlich kurz innezuhalten und ganz genau hinzuschauen, um die hohe Kunst zu erkennen, mit der er Worte platziert und Sätze drechselt. Und Geschichten erzählt, deren Haarnadelkurven man oft erst dann bemerkt, wenn der Abgrund plötzlich auf der anderen Seite ist. Weiß der Teufel, warum er noch nie in Wien gastiert hat.
Es gibt schlicht keinen vernünftigen Grund dafür, dass man – zum Beispiel – bis nach Mainz fahren muss, um Sebastian Krämer live zu erleben. Mainz, wenn es singt und lacht. Dort spielt er dieser Tage sein aktuelles Solo „Krämer bei Nacht“. Oder auch : „Schlaflieder zum Wachbleiben“. Oder : „Ruhestörung für gehobene Ansprüche“. Ganz wie’s beliebt. Auf alle Fälle geht es um nächtliche Themen. Wobei der Unterschied zwischen Tag und Nacht ja in erster Line darin liege, führt Krämer aus, dass in der Nacht die Beleuchtung kostenpflichtig sei : „Die Nacht ist die Kommerzialisierung des Lichts.“
So haben denn in diesem Solo furchteinflößende Albträume ebenso Platz wie lautstark schnarchende Hotelzimmer-Nachbarn oder von Autoscheinwerfern an die Zimmerwände gezeichnete Fensterkreuzschatten. Ein wenig Horror mit Humor und Hintersinn – und dann wieder fröhliche Boshaftigkeit mit beißendem Witz. Und das alles mit beispielloser sprachlicher Prägnanz und Pointiertheit. In dem schönen Opener „Wovon träumst Du“ beweist er beispielsweise nachdrücklich, dass es bei der liebevoll gesäuselten Zeile „Ich will in deinen Träumen bei Dir sein“ nur eines leichten Tonfallwechsels bedarf, um sie in eine furchterregende, gefährliche Drohung zu verwandeln.
Seine Lesung aus dem unvollendeten Drehbuch für einen Horror-Film ist indes absurde Komik pur. Und seine am Clavichord begleitete Ballade über einen seinem beruflichen Schicksal ergebenen Drachentöter ist ein poetisches Kleinkunstwerk. Am mitreißendsten ist Krämer aber, wenn er so richtig sauer ist. Diesmal sind es DJs und Deutschlehrer, denen er die Leviten schmettert, dass es nur so eine Freude ist. Letzteren bescheinigt er, die Antithese zu König Midas zu sein : „Alles, was ihr anfasst, wird zu Scheiße.“
Schade geradezu, wie respektlos er bisweilen mit seinen Meisterwerken umspringt. Krämer liebt es nämlich, sich selbst im Vorspiel oder Vortrag zu unterbrechen. Dieser Columbo-Methode, immer noch eine Kleinigkeit sagen zu müssen, bevor es im Programm weiter geht, gebricht es auf Dauer an der nötigen Unvorhersehbarkeit.
Andererseits gelingt ihm dadurch natürlich gelegentlich auch eine schöne Verzahnung seiner einzelnen Texte und Chansons : Das nächste Lied hat schon längst begonnen, während das vorherige noch in pointierten Nachbetrachtungen inhaltlich ausklingt. Nummern-Kabarett mit Crossfade.
Fazit : Es ist kein Zufall, dass Sebastian Krämer von fast einer ganzen Generation junger LiedermacherInnen als Vorbild verehrt wird. Weiß der Teufel …
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