Schweizer Sehenswürdigkeiten
Eine Schweizer Kleinkunst-Offensive bringt erfreulich Ungewohntes nach Ost-Österreich : Satirisches Heimatfilmtheater und sprech-loses Kabarett, das sprachlos macht.
kabarett.at 01/2009
Während die österreichische Kleinkunstszene seit geraumer Zeit von deutschen Comedy-Kassenschlagern gestürmt wird, ist es unverändert punktuellen Einzelinitiativen zu verdanken, dass gelegentlich auch noch weniger populäre Kabarettschaffende aus den Nachbarländern in Österreich gastieren. Ganz besonders gilt das für KünstlerInnen aus der Schweiz. Ein Land, in dem auf diesem Sektor eine professionelle Experimentierfreude blüht, die über Jahre hinweg für Farbe in den heimischen Spielplänen sorgen könnte. Zwei der interessantesten eidgenössischen Duos waren am vergangenen Wochenende erstmals in Ost-Österreich zu erleben : „Knuth & Tucek“ im Theater Forum Schwechat und „Ohne Rolf“ im Wiener Rabenhof.
- Knuth & Tucek : „Auch das noch !“
Während die dicke Europa auf der Suche nach einem potenten schweizer Stier lüstern durch die Kantone brettert, betteln Merkel, Sarkozy, Berlusconi und Faymann verzweifelt um eine eidgenössische Landeerlaubnis für ihren erschlaffenden Heißluftballon. Alle Vier sind gut getarnt : als Rotkäppchen, Rumpelstilzchen, Pinocchio – und der österreichische Bundeskanzler als Grinsekatze aus „Alice in Wonderland“. Jenes Tier das auch noch weiter grinst, wenn es sich unsichtbar gemacht hat. Andernorts laufen derweil die Vorbereitungen für eine Hochzeit auf Hochtouren : eine sorgfältig eingefädelte, grenzüberschreitende Zweckehe aus rein geschäftlichen Erwägungen, die Verwandtschaft aus aller europäischen Herren Länder unter einen Hut zu bringen trachtet. Doch es ist etwas faul im Staat der Eidgenossen. Und nicht nur dort.
Es ist kein Wunder, dass sich „Knuth & Tucek“ für ihre wilde, von ganz alltäglich grotesken Gestalten bevölkerten Mischung aus Kabarett, Theater und Musik namens „Auch das noch !“ eine eigene Schublade gezimmert haben : „Heimatfilmtheater“ nennen sie ihr kraft- und anspruchsvolles Genre. Musikalisch sind „Knuth & Tucek“ säuselnde Sirenen und singende Sägen auf höchstem Niveau. Inhaltlich legen sie mit gesellschafts- und politsatirisch geschärften Schaufeln und spöttischen Spitzhacken und einem ausgeprägten Gespür für schöne Sprache schonungslos die wahren Motive der nach außen hin oftmals ach so tolerant und weltoffen wirkenden Kleinbürger und Großköpfe frei : in Wahrheit sind sie doch alle fest verwurzelt in engstirnigen, nachbarländlichen Ressentiments, verqueren Vorurteilen und bisweilen hoffnungslosen Illusionen.
Und es muss nun doch erwähnt werden, auch wenn es eigentlich keine Rolle spielen sollte : „Knuth & Tucek“ heißen mit Vornamen Nicole und Olga. Sind also zwei Frauen. Und sie spielen ein dramaturgisch raffiniertes und inhaltlich hochklassiges Programm, das grundsätzlich genau so auch von zwei Männern gespielt werden könnte. Das allein ist natürlich noch kein Qualitätskriterium, aber es trägt dazu bei, dass „Auch das noch !“ eine höchst bemerkenswerte Ausnahmeerscheinung auf dem Kleinkunstsektor ist.
- Ohne Rolf : „Blattrand“
Weniger stimm-, aber um kein Deut weniger sprachgewaltig präsentieren sich „Ohne Rolf“. Ein Kleinkunststück ohne ein einziges gesprochenes Wort. Sprechlosigkeit, die sprachlos macht. Denn auch Jonas Anderhub und Christof Wolfisberg ist es gelungen, ein faszinierendes neues Genre zu schaffen : Kabarett zum Umblättern. „Erlesene Komik“, wie sie ihre Innovation selbst etikettieren. Mit zwei dicken Stapeln bedruckter Plakate stehen sie auf ihren Trittleitern – und präsentieren einen Satz nach dem anderen. Manchmal auch nur Satzzeichen, einzelne Worte oder Gedanken. Und Blatt für Blatt entstehen hintergründig gewitzte Gespräche und vielschichtig schräge Dialoge.
Mit verspielter Kreativität entlocken sie diesem auf den ersten Blick vielleicht eindimensional anmutenden, non-vocalen Prinzip eine Fülle hochamüsanter Facetten. Sie flüstern, schreien, telefonieren, stimmen einen Kanon an, reiten auf Aus-Druckfehlern herum, lesen Gedanken, entgleisen in chinesische Schriftzeichen – und führen ihr Publikum immer wieder geschickt hinters Licht, indem sie sich scheinbar rettungslos verzetteln. Doch jedes Chaos ist perfekt choreographiert. „Ohne Rolf“ können auch lügen wie gedruckt.
Und das sind nur einige der Stilmittel, mit denen die beiden „Blattländer“, die sich von Papier und Tinte ernähren, ihren offenkundig vorgedruckten Konversationen eine erstaunlich spontane Wirkung verleihen. „Blattrand“ ist ein verblüffendes Spiel im Spannungsfeld zwischen vermeintlicher Vorherbestimmtheit und freiem Willen. Und somit eine hochintelligente Auseinandersetzung mit den Tücken der Sprache und der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Die Begeisterung von „Rabenhof“-Chef Thomas Gratzer und Andreas Fuderer, Chef des „Kabarett Niedermair“, nährt die gute Hoffnung, dass es schon bald weitere Auftritte von „Ohne Rolf“ in Wien geben wird.
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