Nachbarn in Not
Thomas Maurer spielt Thomas Glavinic – „Der Kameramörder“
Ein 1-Personen-Thriller als Multi-Media-Protokoll
kabarett.at / 17. Februar 2005
Ganz Österreich steht im Bann eines grausamen Verbrechens. Ganz besonders jene weststeirische Gegend, in der der Psychopath zwei Kinder mit grenzenloser Brutalität dazu gezwungen hat, sich selbst zu töten – und die Geschehnisse mit einer Videokamera gefilmt hat. Eine Kopie dieses Videos gerät in die Hände eines privaten TV-Senders.
Der als entspanntes Wochenende auf dem Lande geplante Besuch eines oberösterreichischen Pärchens bei einem befreundeten Ehepaar, das in der Nähe des Tatorts wohnt, steht zwangsläufig ganz im Zeichen dieses Doppelmords. Abscheu, Wut und Angst vor dem noch immer nicht gefassten Killer wechseln einander ab, während das Fernsehen die Geschehnisse ausschlachtet. Die zynische Textzeile „Dies ist kein Sensationsvideo. Es ist der hilflose Versuch zur Aufarbeitung einer Tragödie“ wird immer wieder in die Ausstrahlung der Aufnahmen des „Kameramörders“ eingeblendet.
So weit der Handlungs-Hintergrund des von Thomas Glavinic verfassten, preisgekrönten Romans. Als Erzähler fungiert der Gast aus Oberösterreich, der mit nüchternen Worten und penibler Genauigkeit die Ereignisse des Wochenendes inklusiver aller noch so nebensächlicher Details zu Protokoll gibt. Eine fast in Amts-Deutsch gehaltene, völlig emotionslose Chronik unfassbar schrecklicher Geschehnisse. Es ist dieser Kontrast, der dem Grauen eine markerschütternde Dimension verleiht. Der Umgang der Medien mit derartigen Quotenbringern steht dabei dem Verbrechen selbst um nur wenig nach.
Für die Bühnenversion haben der Autor (Thomas Glavinic), der Regisseur (Anatole Sternberg) und der Darsteller (Thomas Maurer) den Originaltext um etliche Passagen gekürzt und um ein paar aktuelle Einsprengsel erweitert. Am Stil haben sie nichts geändert. So ist Maurer mit der Aufgabe konfrontiert, einen 100-minütigen, monotonen Monolog aufsagen zu müssen. Eine beachtliche Leistung, deren Kunst u.a. darin liegt, nicht ins Schauspielen zu verfallen, sondern dem protokollarischen Ton des Textes konsequent gerecht zu werden. Das kommt Maurer entgegen. Nur mit kaum merklichen Änderungen in der Stimmlage und Lautstärke setzt er bei seinem Vortrag Akzente.
Nahtlos fügt er sich dabei in die von Anatole Sternberg geschaffene, aufwändige und Ehrfurcht gebietend präzise gestaltete Bühnen-Installation ein : Auf einer den gesamten Bühnen-Hintergrund ausfüllenden Leinwand läuft ein Film. Er ersetzt die wechselnden Kulissen. In ihn wird das Fernseh-Programm verschwommen eingeblendet. Und in ihm treten all jene Figuren auf, um die es im Protokoll geht. Maurer wird dabei zu einem Teil der Filmhandlung : er sitzt mit seinen 2-dimensionalen Freunden an einem Tisch, vorm Fernseher, im Wirtshaus – und beschreibt dabei das Geschehen. Ein anfänglich faszinierender Effekt, der sich aber im Lauf des Stücks zunehmend abnutzt. Ja sogar unfreiwillig ablenkt, wenn z.B. als Spenden-Hotline für die Hinterbliebenen der Mordopfer die „Nachbar in Not“-Telefonnummer eingeblendet wird. Oder ist das als besonders hinterfotzige Pointe gedacht ?
Zum Multi-Media-Charakter trägt auch der von Elektronik-Musiker Rainer Binder-Kriegelstein entworfene, feine Soundtrack bei. Leider kommt er viel zu selten zur Geltung.
Fazit : der dramatisierte „Kameramörder“ ist eine nachhaltig beklemmende, auswendige Lesung vor der Kulisse eines kunstvollen Stummfilms mit gelegentlicher Musik, in deren pausenlosem Verlauf sich die Rabenhof-Sitze allerdings in ihrer ganzen Härte bemerkbar machen. (pb)
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