Verkannt, verleugnet, vergessen
Der Standard 06/2001
Auch große Künstler haben ihre kleinen, schmutzigen Geheimnisse: Steuerschulden, Schweißfüße oder Mohnsemmelallergie. Doch was eine der verdientesten Diseusen deutscher Zunge ihrem mittlerweile angejahrten Publikum bislang verheimlichen konnte, sprengt die Vorstellungskraft jedes katastropengestählten Hardcore-Fans: Hildegard Knef, 74, die Heroine des Nachkriegschansons („Eins und eins“), auflagenstarke Autobiografin („Der geschenkte Gaul“) und in den fünfziger Jahren als Filmflittchen geschmähter Leinwandstar („Die Sünderin“) hat eine Zwillingsschwester.
Aber weit schlimmer noch: Das bislang totgeschwiegene eineiige Double redet auch wie der Star, singt wie Hilde und dichtet wie sie. Eigentlich hat Irmgard Knef, so der Name des brisantesten Fundstücks der deutschen Unterhaltungsgeschichte, Hildegards Karriere überhaupt erst ermöglicht. Doch der Ruhm war teuer erkauft. Während die zehn Minuten ältere Hilde „ein Weltstar wurde – in Deutschland“, schuftete sich Irmgard in Berlin-Kreuzberg ab, schrieb Erfolgstexte und wurde zum Dank verleugnet.Doch genug ist genug: Irmgard Knef hat dem Leidensdruck, jahrzehntelang von ihrer berühmten Schwester verschwiegen worden zu sein, nicht mehr standgehalten und ist jetzt an die schockierte Öffentlichkeit gegangen. Ein letzter Grund war die finanzielle Misere im Hause der Sängerin. Die regelmäßigen Überweisungen – eine Art Schweigegeld – blieben aus. Hilde war pleite und das schwesterliche Stillhalteabkommen somit hinfällig. Auf Kleinkunstbühnen (Motto: „Verkannt-verleugnet-vergessen“) packt Irmgard unter dem Titel „Aufgestanden aus Ruin“ nun endlich aus und redet und singt sich den Frust von der waidwunden Geschwister-Seele. Lach- und Sachgeschichten einer Verkannten.
Zu verdanken ist der tragikomische Coup mit der Doppel-Knef dem Berliner Schauspieler, Autor und Kabarettisten Ulrich Michael Heissig. Er erfand Irmgard, die drollige Kunstfigur, um, natürlich, „eine Hommage auf Hildegard“ abzustatten. In perfekter Knef-Maske mit den rabenschwarzen XL-Wimpern, Sonnenbrille und Schlapphut, mit langer Blondhaarperücke und den fahrig-eleganten Bewegungen des Vorbilds, tapst der privat zur Kahlköpfigkeit neigende Heissig, 34, auf die Bühne und spult sein amüsantes Märchen vom verlorenen Ein-Ei ab. Nahezu perfekt – und weit weg von jeglichem Transvestiten-Juchhu – beherrscht er das rauchzarte Knef-Timbre und imitiert zudem virtuos die Fähigkeit seines Idols, ganze Satzteile auf Nimmer-Wiederhören guttural verschwinden zu lassen.
Mit liebevollen Seitenhieben auf Karriere und Charakter der Knef präsentiert Heissig eine putzige Parodie auf gängige Künstlerklischees. Da berichtet Irmgard euphorisch von ihrer weithin unbemerkten Laufbahn auf der Musicalbühne („Ich war die Anna in ‚Anatevka‘ und die Annie in ‚Anything goes'“). Und sie enthüllt, wie es überhaupt zur Trennung der als Show-Duo geplanten Knef-Schwestern kam: Nachdem die Kessler-Zwillinge ihre „ersten Achtungserfolge“ aufweisen konnten, setzte sich bei Hilde schlagartig die Erkenntnis durch: „Irmgard, vergiss es. Der Markt ist besetzt.“
Und auch kleine Ferkeleien kommen in der Vita einer Vergessenen nicht zu kurz. „Jahrelang blies ich Trübsal“, lamentiert Irmgard im Trauer-Ton über ihre größte Schaffenskrise, um dann ungerührt fortzufahren: „Karl Otto Trübsal wohnte im Stock über mir.
„Parodist Heissig neigt schon seit früher Jugend zu ungehemmter, familiär vorgegebener Diven-Verehrung. Im schwäbischen Elternhaus sorgte bereits die Mutter beim gemeinsamen Abwasch für den rechten Respekt ihres Kleinen für die adorierte Knef. Der blieb haften.Als er vor ein paar Jahren für eine kleine Unterhaltungseinlage in einer Berliner Kneipe eine Idee suchte, fiel Heissig die Doppel-Knef ein. Nach und nach entwickelte sich der Einfall zu einem tragfähigen Vollprogramm. Zuerst in Szenekneipen der Hauptstadt ein Geheimtipp, wird der Abend mit Irmgard mittlerweile auch bundesweit gebucht.
Um sich nicht urheberrechtlichen Kalamitäten auszusetzen, hat sich Heissig bei der Auswahl der Chansons mit einem kreativen Trick beholfen: Er singt die Erfolgstitel der Knef mit alter Melodie, aber neuem Arrangement und eigenem Text. Eine Reaktion von der echten Hilde steht noch aus. Heissig hofft auf Milde. Denn letztlich sei jede Verulkung „eine Huldigung“. Und so tönt’s nun nicht mehr im Original „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, sondern melancholisch-verfremdet: „Auch ich wollt Autogramme geben, wollte als Filmstar in Hollywood leben. Mit Sex wollte ich Eindruck schinden, aber ich klebte ja nicht mal in Spinden.“ Und da wird aus der munteren Persiflage still und fast unheimlich ein kleines Rührstück. Und Irmgard K. singt als Mater Dolorosa für alle Schattenexistenzen und zu kurz Gekommenen. Rote Rosen erübrigen sich.
Ulrich Michael Heissig macht aus dem nicht unüblichen Die-Wahrheit-über-Ansatz sehr viel mehr als eine respektable Travestie-Leistung: Sicher, er hat sich den Mund so mit Lippenstift übermalt wie die Knef; er hat sich ihre Wimpern angeklebt, die so oft getuscht sind, dass sie aussehen wie dicke schwarze Raupen; er trägt eine zu große Sonnenbrille und ein auch sehr knefsch aussehendes Hose/Weste-Complet. Er hat ihre Erscheinung akribisch kopiert – aber noch größer wird die Ähnlichkeit, wenn man die Augen schließt: Heissig hat Hildchens rauchige, gebrochene Stimme, ihre zum Ende hin mürrisch oder kraftlos wegkippenden Sätze – und auch die Wortwahl neigt wie beim Original zu bombastischen, umständlichen Ausschmückungen. Und dann guckt man wieder hin und sieht haargenau Knefs halb ungelenke, halb elegante Bühnengesten vor sich. Eine Adaption, die vor allem in ihrer fabelhaften Bosheit glänzt.
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